Ausscheidungsautonomie bei Kindern: Der Weg zur Windelfreiheit

Kinder erlangen nach und nach die volle Selbständigkeit, die Ausscheidung ihres Stuhlgangs sowie Urins zu kontrollieren. Auch lernen sie, sich selbst sauber zu machen. Zusammengefasst nennen wir diesen Prozess Ausscheidungsautonomie. Bei den Ausführungen gehe ich von dem in unserer Gesellschaft eher üblichen Prozess aus, dass Kinder im ersten und meist im zweiten Lebensjahr eine Windel tragen. In Europa trifft dies auf 99,9 % der Kinder zu.

Voraussetzungen der Ausscheidungsautonomie

Um Harn und Stuhlgang zu kontrollieren, müssen Kinder diese Ausscheidungen zurückhalten können. Das bedeutet, das Kind braucht zunächst ein Gefühl dafür, dass es diesen Vorgang, also wenn sich Urin und Stuhl in Bewegung setzen, wahrnimmt. Dies geschieht tatsächlich schon sehr früh: Ab der Geburt nehmen Babys diese körperlichen Aktivitäten wahr und äußern diese Wahrnehmung durch nonverbale Signale, die von engen Bezugspersonen wahrnehmbar sind (nähere Informationen, siehe Kasten). Eine entsprechende Feinfühligkeit bei diesem Thema, eine sogenannte Ausscheidungskommunikation, führt zur erfolgreichen Umsetzung des (teilzeit-)windelfrei-Konzepts, das in Familien zunehmend an Attraktivität gewinnt. Trifft dieses Konzept auf die Gemeinschaftseinrichtung, braucht es sehr viel Feingefühl und Kommunikation mit den Eltern, um eine für alle Seiten tragbare und individuelle Vorgehensweise in diesem sensiblen Thema zu finden. Jedoch können Kinder gut zwischen den verschiedenen Settings unterscheiden, sodass das Windeltragen in der Einrichtung nicht zwingend einen Rückschritt in der Ausscheidungsautonomie bedeutet.

Im Gegensatz zur Darmtätigkeit baut sich der Harndrang sehr kurzfristig auf. Daher folgt die Wahrnehmung des Harndrangs oft sehr spontan. Die körperliche Voraussetzung, bis ein Kind seine Exkremente komplett zurückhalten kann, braucht das bewusste Betätigen und Kontrollieren der Schließmuskel. Diese Kontrolle entwickelt sich im Alter von circa 18 bis 48 Monaten. Mit den körperlichen Voraussetzungen verbunden braucht es das Interesse vom Kind, selbständig auf die Toilette gehen zu wollen. Kinder erleben in diesem Alter viele spannende und gleichzeitig herausfordernde Themen und Entwicklungen. Für all das braucht das Kind Zeit und den Drang, Dinge selbst tun zu wollen.

Wie kann das Kind bestmöglich in diesem Prozess unterstützt werden?

Wenn wir um die Signale der Kinder wissen, die sie senden, um zu signalisieren, dass sie bereit sind, selbständig auf die Toilette zu gehen, können wir auf diese eingehen und so das Kind bestmöglich unterstützen. Die Signale können sein:

  • Abgabezeiten des Urins werden immer regelmäßiger, die Abstände zwischen dem Ablassen des Urins liegen über zwei Stunden.
  • Das Kind zeigt Interesse, wenn Bezugspersonen auf die Toilette gehen.
  • Die bevorstehende Abgabe wird vom Kind selbst beobachtet, das Kind zieht das Gesicht zusammen, hält während des Spiels inne.
  • Das Kind trippelt mit den Füßen, von einer auf die andere Stelle.
  • Das Kind kündigt an, wenn Urin oder Stuhlgang in Gang kommen, dies kann auch nonverbal erfolgen.
  • Das Kind empfindet die volle Windel als „unangenehm“. Es zeigt darauf und versucht mit Lauten und Worten (wie „AA“, „Pipi“, „Kacka“) darauf aufmerksam zu machen.
  • Das Kind zeigt Interesse an seinem Ausscheidungsvorgang. Es möchte seine „Produkte“ anschauen und benennt den Vorgang.

Erkennen wir diese Signale und verstehen, dass das Kind selbst Interesse und die Bereitschaft hat, den Schritt in die Sauberkeitsautonomie zu gehen, braucht es von Seiten der Bezugspersonen eine verlässliche Begleitung.

Mit folgenden Handlungsempfehlungen begleiten Sie das Kind optimal:

  • Beobachtung der genannten kindlichen Signale.
  • Zutrauen in das Kind und seine Wahrnehmung und Fähigkeiten.
  • Partizipation des Kindes zulassen, beispielsweise beim Abwischen der Ausscheidungsorgane.
  • Zuwendungsverlust vermeiden. Meist erhalten die Kinder beim Wickeln viel Aufmerksamkeit und Zuwendung. Diese Art der Zuwendung sollte nicht wegfallen, sondern durch andere Rituale ersetzt werden.
  • Das Fühlen von Scham setzt meist mit der Entwicklung der Ich-Identität ein. Hierbei ist wichtig zu beachten, dass jedes Kind unterschiedlich empfindet. Wenn Kinder Scham empfinden, sollten wir dies ernst nehmen und dem Kind Schutzräume schaffen.
  • Im Allgemeinen ist stets einzuhalten, die Intimität des Kindes zu achten und die individuellen Grenzen des Kindes zu wahren. z.B. wenn ein Kind von einer bestimmten Person nicht auf die Toilette begleitet werden möchte.
  • Die eigene Haltung reflektieren und stets in einer Vorbildfunktion agieren, z.B. selbst keinen Ekel zeigen, wenn das Kind stolz seine Ausscheidungsprodukte zeigt. Ausscheidungsprodukte nicht „negativ“ benennen.

Toilettensitz oder Töpfchen? Aus hygienischer Sicht nutzen wir in unseren Kinderhäusern die Toilette mit einem Aufsatz für die jüngeren Kinder. Kindern, die sich noch nicht auf die Toilette trauen, kann zum Übergang ein Töpfchen angeboten werden. So können zum Beispiel die Eltern für den Zeitraum ein eigenes Töpfchen für das Kind in die Kita mitbringen. Wichtig ist selbstverständlich, dieses nach dem Toilettengang zu leeren und zu desinfizieren.

Das Kind in seiner Entwicklung ganzheitlich betrachten

Das Kind befindet sich während der Ausscheidungsautonomie meist auch in der Autonomiephase. Für den Prozess von der Windel zum selbständigen Toilettengang kann das hilfreich sein, weil das Kind selbst viel allein machen und ausprobieren möchte. Es kann auch sein, dass das Kind sich in einer Phase befindet, in der es protestiert, und es viel spannender ist, zu allem “Nein” zu sagen. Unter solchen Rahmenbedingungen könnte der Schritt in die Ausscheidungsautonomie des Kindes kontraproduktiv sein, sofern er nicht vom Kind selbst kommt. Hier darf man sich in Gelassenheit üben und darauf vertrauen, dass der nächste Schritt bald folgt.

Eine weitere Besonderheit in dieser Entwicklungsphase ist der Umgang mit Ängsten. In diesem Alter befinden sich viele Kinder in der genannten magischen Phase. Das bedeutet, dass Kinder zwischen Fantasie und Realität noch nicht unterscheiden können. Wenn dann das eigene Produkt die Toilette runtergespült wird, können Verlustängste auftreten oder Fantasien, wie das Monster, das aus der Toilette kommt. Dies ist wichtig zu wissen, um die Ängste der Kinder zu verstehen und auffangen zu können.

Kinder sind in diesem Alter oft tief ins Spiel versunken. Sie finden es so spannend, dass sie „keine Zeit“ haben, auf die Toilette zu gehen. Hier brauchen die Kinder eine liebevolle und sichere Begleitung, also Erwachsene, die sie daran erinnern, auf die Toilette zu gehen und ihnen die Sicherheit geben, dass sie nach dem Toilettengang wieder ihr Spiel fortsetzen können. Das Einrichten von “Parkplätzen“ für das Spielmaterial bietet hierbei eine passende Lösung. So hat das Kind die Gewissheit, dass es beruhigt auf die Toilette gehen kann.

Eine weitere Besonderheit ist die Nachtruhe: „Wie tagsüber, lernen die Kinder auch nachts zuerst die Kontrolle über ihren Darm. Etwa die Hälfte aller Kinder kommen erst im vierten Lebensjahr komplett ohne Windel aus, auch nachts“ (Gebauer-Sesterhenn 2016, S. 378). Die Kontrolle über die Ausscheidungen, verbunden mit dem Toilettengang, erfolgt meist erst tagsüber, da die Regeneration des Kindes im Schlaf dem zuvorkommt. Daher ist es auch völlig legitim, das Kind zum Schlafen (auch mittags) eine Windel tragen zu lassen.

Zusammenarbeit mit Eltern

Der Prozess der Ausscheidungsautonomie findet sowohl zu Hause als auch in der Kita statt. Daher ist eine enge Abstimmung und ein guter Austausch mit den Eltern unabdingbar. Folgende Punkte können hierbei unterstützen:

  • Wechselseitige Rückmeldungen, sobald das Kind Signale zeigt
  • Erläuterung über die gezeigten Signale in beide Richtungen
  • Erfragen der Situation und Beobachtungen zu Hause und in der Einrichtung
  • Wechselkleidung in der Kita aufstocken; Aufklärung der Eltern darüber, dass das Einüben Zeit und Geduld braucht und es die ein, oder andere Hose mehr braucht.
  • Beratung zu praktischen Fragen
  • Aufklärung über Mythen und darüber, dass ein Training nicht dazu führt, dass das Kind schneller sauber wird.
  • Feinfühliger Umgang mit besonderen Vorgehensweisen im Elternhaus, zum Beispiel mit dem Thema Windelfrei: Was ist das Kind gewöhnt und kann es schon leisten? Wie gehen die Eltern vor? Zugleich Lösungen mit Blick auf die Umsetzbarkeit in einer Gemeinschaftseinrichtung finden – das Kind steht im Fokus.

Der Abschied von der Windel bedeutet, einen längeren Prozess zu gehen und begleiten, bis das Kind in seiner Ausscheidung völlig autonom ist. Wichtig dabei sind eine verlässliche und liebevolle Unterstützung des Kindes von Seiten der Eltern und der Kita. Rückschritte sind dabei völlig normal und sollten auf keinen Fall dazu führen, dass das Kind gedrängt wird. Wenn wir das Kind in seinem eigenen Tempo konstant und achtsam begleiten, wird die Windel vom Kind früher oder später gerne verabschiedet.

Windelfrei – Elemination Communication

Grundsätzlich sind Kinder ab der Geburt fähig, ihre Ausscheidungen zu kontrollieren. Sie sind nicht inkontinent. Durch das Tragen der Windel verlernen sie allerdings das bewusste Ansteuern der notwendigen Muskulatur und lernen in die Windel auszuscheiden. Aus diesem Grund gibt es in anderen Ländern und Regionen, vermehrt auch in Deutschland, andere Umgangsweisen in der Begleitung der Ausscheidungsautonomie.

Säuglinge werden bereits ab Geburt „abgehalten“. Dies bedeutet, dass die Bezugspersonen anhand von Signalen – meist einem bestimmten Geräusch oder Gesichtsausdruck des Neugeborenen – dem Kind ermöglichen, ohne Windel auszuscheiden. Eltern, die diese Umsetzung handhaben, praktizieren das so genannte „windelfrei” oder passender „Elemination Communication”. Der Begriff „windelfrei” kann missverstanden werden. Kinder, die abgehalten werden, tragen trotzdem eine Stoff- oder Wegwerfwindel zur Sicherheit.

In Deutschland begegnet einem zunehmend ein Teilzeit-Windelfrei. Das bedeutet, dass Eltern ab Geburt die Kinder abhalten, allerdings in Standardsituationen und nicht anhand von kindlichen Signalen. Auch dieses Vorgehen ist sinnvoll, da bekannt ist, dass in diesen Standardsituationen Kinder häufig das Bedürfnis haben auszuscheiden. Das bestätigen auch Eltern, die kein windelfrei praktizieren. Standardsituationen können zum Beispiel sein: vor und nach dem Schlafen, vor und nach einem Ausflug, beim Wickeln und zum Beispiel nach der Nahrungsaufnahme.

Mehr von Lisa Reuß

Töpfchen Training

Ein anderes Modell der frühen Sauberkeitserziehung ist das so genannte Töpfchen-Training. In diesem Modell gibt es viele Momente im Tagesablauf, indem das Kind nach dem ersten Geburtstag oder später bewusst auf den Topf (oder die Toilette) gesetzt wird. Dabei wird nicht auf Zeichen des Kindes geachtet. Es soll so an die Toilette gewöhnt werden – mit dem Ziel, den Prozess des „Sauberwerdens“ zu beschleunigen. Nach einer Züricher Studie, auf die Remo H. Largo in seinem Buch „Babyjahre“ hinweist, führt dieses Training nicht zu dem erhofften Erfolg. Denn das Kind lernt durch das Training nicht früher, seinen Stuhl und Harndrang zu spüren, was wiederum die Voraussetzung der Ausscheidungsautonomie darstellt.

Mehr von Eva Heißel

Literatur

Gebauer-Sesterhenn, Birgit; Pulkkinen, Anne; Edelmann, Katrin (2016): Die ersten 3 Jahre meines Kindes. Gräfe und Unzer: München.

Haug-Schnabel, Gabriele (2011): Physiologische und psychologische Aspekte der Sauberkeitsentwicklung. Abrufbar unter: https://www.kita-fachtexte.de/fileadmin/Redaktion/Publikationen/FT_haug_schnabel_2011.pdf (zuletzt aufgerufen am 21.4.2024)

Largo, Remo H. (2012): Babyjahre. Entwicklung und Erziehung in den ersten vier Jahren. Piper: München.

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