Kindsein in der Welt der Corona-Pandemie

COVID-19 und die damit verbundenen Themen sind weiterhin präsent in unser aller Welt: Man hört (fast) täglich von Maßnahmen und Entscheidungen der Politik, sieht – scheinbar egal, wohin man schaut – Auswirkungen der Pandemie. Die meisten Erwachsenen haben gelernt, mit diesen Themen (mehr oder weniger) umzugehen – der Umgang mit dem Virus ist Teil vom Menschsein in dieser Welt geworden. Geht es Kindern ebenso?

Uns als Wegbereiter*innen und Begleiter*innen der Kinder beim Entdecken dieser Welt fällt eine besondere Verantwortung zu. Darum soll es in diesem Beitrag gehen.

Kleine Forscher

“Wir haben hier einen Dinosaurier und wir untersuchen seine Kacka, da sind Coronaviren drin. Diese minikleinen Glitzerpunkte… Zum Glück haben wir Handschuhe an.”

Kinder sind wahre Forscher, natürlich auch die in unseren element-i Kinderhäusern. Sie haben von Geburt an das beständige Bedürfnis Neues, Unbekanntes zu entdecken und zu lernen (vgl. Kammerlander et al. 2018, S. 8). So erfahren die Kinder auch Themen über COVID-19 und entwickeln ihre ganz eigenen Hypothesen: „Die Coronavirus haben es leider geschafft rauszugehen, und wir gucken mal, warum die böse sind …”.

Für Kinder ergeben sich aus dem, was sie in ihrem Alltag entdecken und erfahren, viele Forschungsfragen. Sie sind dankbar darüber, die Dinge entdecken zu dürfen. Dabei nehmen Kinder die Welt, in der sie leben, ganzheitlich mit all ihren Sinnen und durch ihre individuelle Bedeutungsbeimessung wahr. Umso wichtiger ist es für sie auf eine reflektierte, vorbereitete Umgebung zu treffen. Denn sie sind auf Erfahrungen angewiesen, „die sich ihnen bedeutungsvoll präsentieren bzw. die an bekannte Sachbezüge und den bereits bestehenden Sinnhorizont anknüpfen oder auch neuen Sinn entstehen lassen“ (Kammerlander et al. 2018, S. 8). Aus dem Forschen entstehen Hypothesen über die Welt, über andere und sich selbst.

Maßgeblich für die „eigensinnige“ Einordnung der Kinder sind die Erwachsenen und die Umwelt der Kinder, die zum Großteil durch uns Erwachsenen gestaltet wird. So bezieht eine reflektierte und vorbereitete Umgebung unser eigenes Verhalten und alle Mittel mit ein, die wir entwickelt haben, um den Kindern unsere eigenen Bilder oder Vorstellungen über die Welt zu vermitteln (vgl. SFBB 2021, S. 11f.). Vorbereitete Tagespunkte wie unsere Impulse aber auch unsere Kinderkonferenz, Gesprächskreise, Spielmaterial, Bücher, Plakate etc. bedingen, wie Kinder die ihnen begegnenden Themen einordnen. Gleichfalls wird jeder Kommentar und jeder noch so kleine (emotionale) Ausdruck von uns Bezugspersonen bei der Verortung des Wahrgenommenen der Kinder mit einfließen.

Wie COVID-19 die Welt der Kinder berührt

Jeden Tag sammeln Kinder mannigfaltige Eindrücke zur aktuellen Situation: Gespräche der Eltern zu Hause, Unterhaltungen vor der Kita, auf dem Spielplatz, beim Einkaufen oder beim Arztbesuch und Medien, Plakate, TV-Sendungen oder das Radio sind Quellen, aus denen Kinder Informationen ziehen. Bei einem meiner Vororttermine kam ein Kind auf mich zu und erzählte mir: “Patrick hat heute Geburtstag! Mama sagt aber, wir dürfen nicht zur Geburtstagsfeier. [Denn] dann werden wir vielleicht krank und müssen zum Doktor.” Begleitet wurde diese Aussage durch ein aufgeregtes, aber auch trauriges und ängstliches Gefühl. Für das Kind war der neue Umstand, es darf jetzt plötzlich nicht mehr auf einen Kindergeburtstag, eine Ausnahmesituation.

So bringt der Alltag der Kinder große Veränderungen mit sich. Die Zeiten, die Kinder in unseren Einrichtungen verbringen, variieren, Räume wurden umdefiniert, gewohnte Freiräume der Kinder haben sich verändert, wurden eingeschränkt, dann wieder erweitert und vieles mehr … Manchmal darf man selbst oder dürfen die besten Freunde vom einen auf den anderen Tag nicht mehr in die Kita. Es gibt so viel Neues und Ungewohntes! So stellt die Zeit der Pandemie auch die Kinder bisweilen vor Ausnahmesituationen, die für uns Erwachsene mittlerweile normal sind. Wir haben uns an die Notwendigkeiten im Umgang mit Corona gewöhnt, können damit umgehen und verstehen den Sinn dahinter.

Die Erzieher*in als professionelle Erwachsene in der Begleitung der Kinder

Anders ist es bei den Kindern. Sie brauchen uns als Erzieher oder Erzieherin, als Begleiter*innen in ihrer Wahrnehmung der Welt und folglich in der Entwicklung und Entfaltung ihres Selbst. Erst durch unser pädagogisches Handeln werden Situationen, besonders die angesprochenen Ausnahmesituationen, für die Kinder verstehbar, handhabbar und mit Sinn gefüllt. In der Rolle einer verlässlichen und verständnisvollen Partner*in greifen wir die Fragen oder Hypothesen der Kinder auf und schaffen gezielt Gelegenheiten, die weitere Fragen aufwerfen und neue Antworten suchen (vgl. Kammerlander et al. 2018, S. 10). So werden aus den Ausnahmesituationen, auf die Kinder treffen, entwicklungsangemessene kohärente Erfahrungen. Ein solches durch die Erzieher*innen begleitetes und gerahmtes Setting ermöglicht es, unseren Kindern ein gesundes, also ein von Vertrauen und Zuversicht geprägtes Bild ihrer Zukunft aufbauen zu können. Gleichzeitig entstehen durch die gemeinsame Auseinandersetzung Umgangsformen mit COVID-19-Themen, welche durch Einfühlsamkeit und Respekt geprägt sind. Im Ergebnis entwickelt sich so in Ihrer Einrichtung eine gemeinsame Kultur im Umgang mit COVID-19. Diese lässt Kinder erleben, dass die Welt (mit all ihren Themen) etwas mit ihnen zu tun hat – ganz im Sinne: “Es kommt auf mich an”.

Gern können Sie sich mit Ihren Fragen oder Anregungen an mich wenden. Ihre Fachberatung für den Themenbereich „Menschsein in der Welt“

Literatur

Kammerlander, Carola; Rehn, Marcus; Pädagogischer Leitungskreis der element-i Kinderhäuser (2018): Pädagogische Konzeption für die element-i Kinderhäuser. Stuttgart

Sozialpädagogisches Fortbildungsinstitut Berlin-Brandenburg (SFBB) (2021): Mit Kindern über ihre Erfahrungen in der Pandemie sprechen. Ein Gesprächsleitfaden für pädagogische Fachkräfte der frühen Bildung. Berlin. Abrufbar unter:
https://sfbb.berlin-brandenburg.de/sixcms/media.php/bb2.a.6742.de/SFBB_Gespr%C3%A4chsleitfaden_Mit_Kindern_%C3%BCber_die_Pandemie_reden_1.Auflage.pdf (berlin-brandenburg.de) (zuletzt abgerufen am 15.11.2022)

Mehr von Yves Wilhelm

„Wir machen mit!“ – Demokratiebildung und Partizipation in der Kita

In den vergangenen Wochen und Monaten war der Wahlkampf der Kanzlerkandidaten und der Kanzlerkandidatin das Thema in allen Medien. Über Wahlplakate, Radio, Fernsehen und sicher durch Gespräche haben auch Kinder erahnt, dass Großes im Gange ist. Manche Kinder haben ihre Eltern oder Großeltern ins Wahllokal begleitet. Vielleicht haben sich die Kinder gewundert, warum sie nicht zur Stimmabgabe in die Wahlkabine durften. Vielleicht haben sie gefragt, was ein Kanzler oder eine Kanzlerin so macht. Vielleicht hat die Kinder interessiert, warum man überhaupt wählen geht. Hier und da wurde das Thema auch in der Kita aufgegriffen – zum Beispiel im Erzählkreis. Möchte man den Kindern adäquate Antworten geben, kommt man schnell vom Hölzchen aufs Stöckchen; und so fragte ich mich beim Schreiben: Wo fange ich bloß an?

Sucht man im Internet nach dem Stichwort Demokratie, informiert Wikipedia recht ausführlich. U.a. heißt es dort: „Demokratie … bezeichnet heute Herrschaftsformen, politische Ordnungen oder politische Systeme, in denen Macht und Regierung vom Volk ausgehen …. Dieses wird entweder unmittelbar … oder durch Auswahl … entscheidungstragender Repräsentanten an allen Entscheidungen, die die Allgemeinheit verbindlich betreffen, beteiligt“ (Wikipedia 2021).

Was bedeutet Demokratie in der Kita?

Ist es bereits demokratisch, wenn die Kinder einmal im Monat ein Menü auswählen dürfen? Oder dass sich der Erwachsene auf Augenhöhe mit dem Kind begibt? Sicherlich sind die beiden Beispiele praktische Ideen und Mosaiksteinchen für die Umsetzung. Es braucht jedoch eine grundlegende Haltung gegenüber Kindern. Demokratisch zu handeln bedeutet, Kinder – wo immer es möglich und ihrer Entwicklung angemessen ist – partizipieren zu lassen. Es geht darum anzuerkennen, dass Kinder in alle Entscheidungen, die ihr Leben betreffen, einbezogen werden (vgl. Hansen et al. 2015, S. 20). In der Kita sind die Kinder die Allgemeinheit und Fragen des einzelnen Kindes werden plötzlich zu Fragen, die die ganze Gruppe betreffen („Kann ICH mein Bauwerk hier stehen lassen, auch wenn WIR hier später Singkreis machen wollen?“) Somit sollten die Kinder bei Entscheidungen, die sie betreffen, befragt und einbezogen werden. Was im Umkehrschluss auch bedeuten kann, dann entsprechend zu handeln und die Ideen der Kinder gemeinsam in die Umsetzung zu bringen oder schlüssig zu erklären, warum die Idee nicht umgesetzt wird. Ohne dieses Vorgehen wäre der Artikel 12 in der UN-Kinderrechtskonvention, in welchem dieses Recht verankert ist, eine Worthülse.

Partizipation ist Beziehungsarbeit

Kinder erfahren, dass wir sie in all ihren Belangen ernst nehmen, wenn wir ihnen auf Augenhöhe begegnen. In einer Beziehung, die von Achtung geprägt ist, wird vorausgesetzt, dass Erwachsene Kinder nicht belehren, bevormunden oder beurteilen, sondern Kinder als gleichwertig anerkennen und den Dialog mit ihnen suchen (vgl. Hansen et al. 2015, S. 55). Dass wir ernst nehmen, wenn sie traurig sind und einen Verlust erleben. Auch wenn wir als Erwachsene denken mögen: „Es ist doch nur die rote Schaufel und wir haben noch 20 andere im Garten“. Nein! Es ist DIE rote Schaufel. Für ein Kind platzt hier ein Traum, eine Idee, eine Vision von einem Spiel und das muss gebührend betrauert werden (vgl. Rauh 2002, S. 203). Kinder müssen erleben, dass wir ihr Spiel als ihre elementarste Handlung und ihre Aufbauarbeit von der Welt ernst nehmen (vgl. Kammerlander 2018, S. 14ff). Das wiederum bedeutet, sich genau zu überlegen, ob man das kindliche Spiel unterbricht oder die Kinder von allein zu einem Ende kommen lässt. Ebenso müssen sie auch das tägliche Abwägen und Austarieren miterleben zwischen Wunsch der Einzelperson und dem Wunsch der Gruppe.

Partizipation ist eines der Kinderrechte, für welches wir uns als Konzept-e Netzwerk besonders einsetzen und welches wir auch in unseren Einrichtungen leben, wie an den Beispielen illustriert. Und da lohnt es sich den Blick nach innen zu lenken und sich anhand der genannten Beispiele zu reflektieren. Ich nehme die vergangenen Wahlen und den Tag der Kinderrechte im November als Anlass, um für mich selbst und mit Bezug auf die element-i Einrichtungen Bilanz zu ziehen und zu fragen: Wie sieht es eigentlich bei mir damit aus, wie in unseren Häusern? Die folgenden Leitfragen nutze ich für mich und biete Sie Ihnen als Anregung für die Reflektion: Spreche ich mit den Kindern über ihre Rechte? Nehme ich sie mit auf den Weg, Demokratie zu leben? Erkläre ich ihnen, was es im Kinderhausalltag (und in unserer Gesellschaft) braucht, damit Demokratie gelingen kann? Als kleine Auffrischung habe ich Ihnen die 10 Kinderrechte, für die sich das Konzept-e Netzwerk besonders einsetzt, aufgelistet (siehe Kasten).

Die Rechte der Kinder

Recht auf Gleichheit 

Recht auf Gesundheit 

Recht auf Bildung 

Recht auf elterliche Fürsorge 

Recht auf Privatsphäre und persönliche Ehre 

Recht auf Meinungsäußerung und Partizipation 

Recht auf Schutz im Krieg und auf der Flucht 

Recht auf Schutz vor Gewalt 

Recht auf Spiel, Freizeit und Erholung 

Recht auf Betreuung bei Behinderung 

Das Buch von Thomas Bodmer und Alain Serres greift Kinderrechte farbenfroh und poetisch auf. Es lohnt sich, einen Blick ins Buch zu werfen. Erschienen ist es im Nord Süd Verlag und eignet sich für Kinder im Kindergartenalter.

Die Kinderrechte haben den Sprung ins Grundgesetz in der letzten Legislaturperiode verpasst. Es muss unser Anliegen bleiben, das Thema bei der neuen Regierung vehement zu platzieren und beharrlich zu sein. Kinder sollten sicher wissen können, dass sie Rechte haben und dass es besondere Rechte sind, die sie schützen und unterstützen sollen in ihrer Lebensphase Kindheit. Es braucht dazu – neben der Aufnahme ins Grundgesetz – vor allem uns Erwachsene, die sich dafür einsetzen, dass diese Rechte gewahrt werden. Wir, die wir täglich für und mit Kindern arbeiten, sollten dafür einstehen, dass die Rechte der Kinder gewahrt werden. Dafür gibt es in diesem Jahr wieder eine Aktion zum Tag der Kinderrechte.

Kinderrechte laut machen

Wie auch im vergangenen Jahr wollen wir als Konzept-e Netzwerk wieder dafür sorgen, dass alle gesund bleiben können, und sehen von einer großen Demonstration mit vielen Menschen in Präsenz ab. Wir haben Kooperationspartner gesucht, mit denen wir gemeinsam „Kinderrechte laut machen“ wollen. Innerhalb der Mach-Dich-Stark-Tage gegen Kinderarmut der Caritas gibt es eine Kinderrechtsaktion, welche mit einer Ausstellung selbst gestalteter Plakate einhergeht. Hier hat jede und jeder die Möglichkeit, seinen antreibenden Grund darzustellen, aus dem heraus es sich lohnt, sich für Kinderrechte einzusetzen. Es kann ein gemaltes Bild, ein Statement oder ein Foto eingereicht werden. Der Fantasie sind hier keine Grenzen gesetzt. In einem weiteren Schritt sollen diese Plakate in den öffentlichen Raum gelangen und für den Aktionszeitraum beispielsweise in den Schaufenstern des teilnehmenden Einzelhandels hängen. Sie alle erhalten über die element-i Bildungsstiftung nähere Informationen und Materialien, mit denen Sie entweder gemeinsam mit den Kindern Plakate gestalten können oder auch als Kita-Team oder auch Einzelperson. Hier geht es direkt zur Aktion.

Mehr von Franziska Pranghofer

Portfolios in der Kita – Bildungsbuch statt Fotosammlung

Wie viele andere Wörter ist auch das Wort Portfolio aus dem Lateinischen abgeleitet. Portare bedeutet tragen; folium ist das lateinische Wort für Blatt. Somit bezeichnet das Portfolio eine Sammlung von Blättern – von wichtigen Blättern! Zunächst wurde der Begriff in der Kunst benutzt, hat seinen Weg über die Wirtschaft genommen und ist seit etwa 20 Jahren in der pädagogischen Arbeit in Kitas angekommen.

Mit dem Portfolio wird die Entwicklung eines Kindes – seine Lerngeschichte in Krippe, Kindergarten und Hort – dokumentiert (vgl. Wagner 2018, S. 34). Darüber hinaus geben Portfolios auch Auskunft über die Lebenssituation eines Kindes, über seine Vorlieben und Interessen. Einerseits lernen die begleitenden Pädagog*innen ein jedes Kind mit dem Portfolio immer besser kennen, wissen, wie es lernt und welche neuen Kompetenzen es kürzlich erworben hat. Andererseits können pädagogische Angebote daraus abgeleitet oder Lernumgebungen geschaffen werden, um einem Kind den vor ihm stehenden Entwicklungsschritt zu ermöglichen.

Wie passt Portfolio-Arbeit zu den I´s der element-i Pädagogik?

In der Auswahl der Beobachtungs- und Dokumentationsinstrumente hat das Portfolio einen wichtigen Platz. Mit großer Wertschätzung und ressourcenorientiert werden Entwicklungsschritte oder kleine Geschichten übers Kind festgehalten. In Summe mit kommentierten Fotos oder Foto-Storys, mit Briefen an das Kind (sehr beliebt sind die Seiten mit den Erinnerungen an die Eingewöhnung), mit Seiten, die von der Familie gestaltet werden, ergibt sich ein individuelles Bildungsbuch des Kindes (Wagner 2018, S. 33, betrachtet das Bildungsbuch als dem Portfolio sehr ähnliche Methode). Die ausgeprägten Interessen der Kinder werden wahrgenommen, beschrieben und bebildert. Das ist für jedes Kind von besonderer Bedeutung. Zeigt es doch, dass es in seiner Einzigartigkeit so angenommen wird, wie es ist. Das ist für ein Stück auf dem Weg zu einer reifenden Identität ein hohes Gut. Da werden die Fußballkünste des einen Kindes ebenso begeistert dokumentiert wie die feinmotorischen Kompetenzen eines anderen Kindes im Atelier. Die Ressourcen der Kinder sind die Grundlage der Betrachtung und damit auch leitend für die Angebote oder Impulse, die die Pädagog*innen planen.

Konstruktivistische Theorien geben der Portfolio-Arbeit eine solide Grundlage. Diese Theorien gehen davon aus, dass Kinder und auch Erwachsene sich ihre Kompetenzen in einem aktiven Prozesse selbst aneignen. Es ist demnach irrig anzunehmen, man könne Kinder bilden. Sie leisten diese Prozesse eigenständig – aufgrund ihrer Erfahrungen und ihrer genetischen Dispositionen. Besonders gut und leicht lernen wir alle, Erwachsene sind da ebenso gemeint wie Kinder, wenn wir aus unseren Ressourcen schöpfen und an erworbene Kompetenzen anknüpfen können. So wird Freude am Lernen – eine der Leitlinien der element-i Pädagogik – im besten Sinne sichtbar.

Wer ist der Adressat des Portfolios?

Das Portfolio ist Eigentum des Kindes. Das Kind soll jederzeit Zugang zu seinem Portfolio haben, aber nicht jedermann. Und es versteht sich, dass Pädagog*innen oder Besucher*innen des Kinderhauses nachfragen, ob sie ein Portfolio anschauen dürfen. Das Kind entscheidet auf jeden Fall bei dieser Frage mit. Je besser es dem Team eines Kinderhauses gelingt, die Kinder mit einzubinden bei der Portfolio-Arbeit, desto stärker zeigen Kinder auch, dass sie das Portfolio als ihr persönliches Buch begreifen. Für mich als Fachberaterin wird diese Haltung besonders transparent, wenn Kinder mir ihr Portfolio zeigen möchten. Es ergeben sich mitunter mit mir als nicht vertrauter Person gute Gespräche. Die Kinder erzählen mir, was sie erlebt haben, und ich frage nach: „Was habt ihr denn da gemacht?“, „Da hattest du mit Lukas und Zoe einen Turm gebaut. Wie hoch war der Turm denn?“ usw. Solche Momente sind Momente der Verbundenheit und Momente, Erlerntes zu festigen und eine Sprache für Erlebtes zu finden. Die Kinder erinnern sich an Geschehnisse, die sich ohne Portfolio rasch verflüchtigen könnten. Sie kommunizieren über das Portfolio, dass sie sich mit den Aktivitäten im Kinderhaus identifizieren, mit den Pädagog*innen und anderen Kindern.

Das Portfolio gehört auch den Eltern in ihrer Funktion als Erziehungsberechtigte. Sie haben jederzeit das Recht, das Portfolio mit nach Hause zu nehmen. Sie bestimmen nach Austritt des Kindes, ob das Portfolio zu Hause als das Bildungsbuch ihres Kindes seinen Platz findet oder der nachfolgenden Institution zur Verfügung gestellt wird. Von dieser Möglichkeit, die Potenziale des Portfolios in der nachfolgenden Bildungsinstitution zu nutzen, wird in Deutschland wenig Gebrauch gemacht. Da mag die Sorge mitspielen, das Portfolio könnte als Beleg für nicht vorhandene Kompetenzen dienen oder sogar einen defizitären Blick aufs Kind begünstigen. Es bleibt zu hoffen, dass in Zukunft häufiger aus den Ressourcen des Kita-Portfolios im weiteren Bildungsweg von Kindern geschöpft wird (vgl. Viernickel/Völkel 2017, S. 153).

Für die Zusammenarbeit zwischen Kita und Elternhaus ist das Portfolio für einen weiteren Aspekt zentral: Mit der reflektierten Sicht auf das Kind, die sich im Portfolio widerspiegelt, können Eltern differenzierte Einblicke in die pädagogische Arbeit des Teams erhalten. „Eltern nehmen die Fachkräfte verstärkt in ihrer Professionalität als Bildungsbegleiterinnen und -begleiter sowie Arrangeurinnen und Arrangeure für Lernumwelten wahr“ (Viernickel/Völkel 2017, S. 154). Diese Wahrnehmung geht weit über die auch wichtigen Informationen, was das Kind gegessen, mit wem es gespielt hat, hinaus.

Was unterscheidet das Portfolio von Sammelmappen?

In zahlreichen Kitas haben die Kinder Fächer oder Orte, an denen sie ihre Werke ablegen, Fundstücke vom Ausflug oder Mitgebrachtes aufbewahren. Diese Fächer oder Mappen haben ihre Berechtigung, die Kinder sammeln dort alles, was ihnen wichtig ist. Und diese Sammlung trägt ein jedes Kind von Zeit zu Zeit nach Hause. Die Sammlung unterscheiden sich jedoch vom Portfolio. Um die Bildungsbiografie eines Kindes nachzeichnen zu können, braucht es eine Idee davon, warum ein Blatt ins Portfolio gelangt. Welcher Entwicklungsschritt wird damit dokumentiert? Welche Erfahrung hat das Kind gemacht? Es werden demnach nicht einfach Produkte des Kindes abgelegt oder „Ergebnisse von Beobachtungen, sondern möglichst auch immer kurze Reflexionen, Notizen über Konsequenzen für die pädagogische Arbeit … und Aufzeichnungen darüber, was die Kinder selbst zu ihren Produkten oder Fotografien sagen“ (Viernickel/Völkel 2017, S. 151).

Die Rolle der Pädagog*in?

Raker und Stascheit (2007, S. 19ff) unterscheiden prozessorientierte und ergebnisorienierte Portfolios. Im Kita-Alltag begegnen uns die zu den prozessorientierten gehörenden Lern- und Entwicklungsportfolios. Warum? Ein Ziel des Portfolios ist es, mit den Kindern über Lernwege zu reflektieren und neue Ziele mit ihnen gemeinsam zu entwickeln. Und dafür reicht es nicht aus, Fotos aufzukleben und abzuheften. Denn damit sammelte man mehr oder minder zufällige Produkte, die das ungute Gefühl verstärken könnten, wenig ergiebige Fleißarbeit zu leisten. Eine solche Sammlung geht an der Intention des Portfolios vorbei. Das Portfolio soll genutzt werden als Anregung für die nächsten Schritte pädagogischen Handelns. Und es soll ermöglichen, dass das Kind an seinen Lernwegen und Lerninhalten beteiligt wird. Dabei bleiben die Pädagog*innen die zentralen Begleiter*innen. Sie erweitern die Perspektiven des Kindes, indem sie neue Aspekte beleuchten. Sie stellen Fragen, die das Kind zum Denken anregen, oder stellen Informationen bzw. Material zur Verfügung. Sie schlagen Themen vor, die für das Kind unbekanntes Terrain bedeuten, das sich zu erobern lohnt. Sie schaffen Lernanlässe (vgl. Raker/Stascheit 2007, S. 31).

Was sollte im Portfolio enthalten sein – und was nicht?

In der Literatur wird bisweilen angeregt, das Portfolio in Kapitel zu gliedern, die Überschriften tragen wie „Das bin Ich“, „Das kann ich schon“, „Meine Familie und Freund*innen“ und weitere Rubriken (Raker/Stascheit 2007, S. 26).

In den element-i Einrichtungen haben wir uns auf ein chronologisches System verständigt, in dem regelmäßig vom ersten Tag an jeden Monat neue Seiten für jedes Kind hinzukommen. Da vermischen sich die oben genannten Rubriken. Üblicherweise beginnt das Portfolio mit der Beschreibung der Eingewöhnung. Des Weiteren finden sich folgende Möglichkeiten (vgl. Wagner 2018, S. 34):

  • Kommentierte Fotos von Aktivitäten oder aus dem Tagesverlauf
  • Kunstwerke mit Kommentaren vom Kind oder zum Entwicklungsschritt
  • Bildungs- und Lerngeschichten
  • Kleine Foto-Serien, die einen Lernweg nachzeichnen
  • Seiten übers Kind (vom Kind selbst, von den Erwachsenen)
  • Reflexionen mit dem Kind

Es werden auch die Produkte aufgezählt, die keine Platz im Portfolio haben sollten, wie Ausmalbilder (Mandalas), Fotos und Kunstwerke des Kindes (ohne jegliche Einordnung oder Reflexion), Beobachtungsbögen und ähnliches nicht verbundenes Material (ebd.). Diese Produkte tragen nicht zu einem Bildungsbuch bei, denn die Werke des Kindes an sich sagen noch nichts darüber aus, welchen Lernschritt ein Kind bewältigt hat.

Wie pflegt man ein Portfolio?

In unserem Qualitäts-Handbuch ist die Vorgabe von zwei Portfolio-Seiten für jedes Kind in jedem Monat. Solche Vorgaben bieten eine Orientierung, nützen jedoch nur bedingt, wenn die Pflichterfüllung im Vordergrund steht. Die Frage, was ins Portfolio gelangt und wie das Team sich organisiert und gegenseitig unterstützt, lohnt sich zu diskutieren.

Als hilfreich werden Mappen erachtet, die sich jede Pädagog*in anlegt, oder zentral im Haus zugängliche Ablagekästchen für alle Kinder. Dort wird Material, das ins Portfolio aufgenommen werden könnte, gebündelt: Fotos, Kunstwerke, mitgeschriebene Dialoge, Reflexionen mit den Kindern. Es wird im Alltag sicherlich vorkommen, dass Sie als Pädagog*in – wenn Sie sich Zeit für die Portfolio-Arbeit nehmen – nicht mehr wissen, warum Sie ein Foto, ein Kunstwerk aufgehoben haben. Seien Sie hier mutig und nutzen Sie den Austausch mit den Kindern, um zu entscheiden: Kommt das Werk ins Portfolio? Was notieren Sie dazu? Oder entscheiden Sie mit dem Kind, dass dieses Detail nicht wichtig ist und entsorgt werden darf.

Es ist fast überflüssig zu erwähnen, dass der Fotoapparat stets verfügbar sein sollte. Damit halten Sie Situationen fest, die später für das Portfolio von Wert sein können. Notizblöcke oder die in den element-i Häusern vorrätigen A-5-Formulare für Beobachtungen gehören in jeden (Funktions-)Raum. Ihre Beobachtungen im Alltag aufzuschreiben, das lohnt sich: Melina hat sich zum ersten Mal die Schuhe allein angezogen, Marvin räumt Teller, Glas und Besteck nach dem Essen konzentriert auf den Wagen. Zoe türmt Bauklötze aufeinander und ist begeistert dabei.

Eine verbindliche Struktur hilft, sich gut zurecht zu finden. Manche Teams haben Listen mit allen Kindernamen, auf denen eingetragen wird, für welchen Bildungsbereich Portfolios vorliegen. Da mag es vorkommen, dass es für ein Kind viele Seiten im Bereich Bewegung gibt. Und das ist auch passend, wenn das Kind hier seine Stärken hat und viele Angebote/Impulse wahrnimmt. Im Austausch mit dem Kind ließe sich thematisieren, dass es in der Sprachwerkstatt Bücher zum Thema Ball und Ballspiele gibt. Es könnten neue Ideen mit dem Kind entwickelt werden, eine Einladung zum Impuls in den nächsten Tagen erfolgen. Das Portfolio kann in diesen Fällen zum Ideengeber für den nächsten element-i Bogen werden.

Regelmäßiges Arbeiten mit dem Portfolio kann nur begrüßt werden. Ob sich ein Team für einen wöchentlichen Turnus entscheidet oder sich anders organisiert, muss im Haus und mit der Teamleitung abgestimmt werden. Für manches Haus hat sich bewährt, eine Expert*in zu benennen, die in definierten Abständen die Portfolios sichtet und darauf aufmerksam macht, wenn Lücken zu groß werden, Bildungsbereiche nicht vertreten sind oder Diskrepanzen zwischen dargestellten Inhalten und Wahrnehmungen im Alltag bemerkt werden.

Das Fazit!

Das folgende Zitat legt die Bedeutung des Portfolios – berechtigterweise – groß an: „Im Portfolio finden die Kinder ein Stück ihrer eigenen Lebensgeschichte wieder und entwickeln so ein Verständnis von Vergangenheit und Zukunft, von Gewesensein und Werden und der Kontinuität der eigenen Existenz“ (Viernickel/Völkel 2017, S. 154). Eine Fotosammlung mag schön anzusehen sein und hat ihren Sinn – ganz sicher! Ein Portfolio als Bildungsbuch mit Stationen des individuellen Lernens ist als Prozesswerkzeug unersetzlich und hoffentlich ein Impulsgeber für den weiteren Bildungsweg des Kindes.

Literatur

Raker, Katarina; Stascheit, Wilfried (2007): Was ist Portfolioarbeit? Verlag an der Ruhr: Mülheim a. d. Ruhr

Viernickel, Susanne; Völkel, Petra (2017): Beobachten und Dokumentieren im pädagogischen Alltag. 9. Auflage. Herder: Freiburg i. Br.

Wagner, Yvonne (2018): Das Praxishandbuch zum Beobachten & Dokumentieren. Kinder unter 3. Verlag an der Ruhr: Mülheim a. d. Ruhr

Mehr von Christina Henning

Aktion zum Klimastreiktag in der Bärcheninsel

Der Klimawandel und seine schädlichen Folgen für die Umwelt beschäftigt nicht nur die Erwachsenen oder die Fridays-for-Futur-Generation, sondern auch bereits die Kleinsten. Wir möchten rückwirkend noch ein besonderes Projekt der Kinder von der Bärcheninsel im Rahmen des globalen Klimastreiktags vergangenen September vorstellen.

Gemeinsam mit den Kindern hatte das Team der Bärcheninsel große Laken mit Fingerfarben bemalt und beschriftet und diese dann gut sichtbar an der Außenfassade der Kita aufgehängt. Bereits im Vorfeld wurde in der Einrichtung das Thema Klima und der Klimawandel mit den Kindern besprochen und diskutiert. Vieles wussten die Kleinen auch schon: Klima hängt mit dem Wetter zusammen, es hat Auswirkungen auf die Natur und deren Lebewesen – also auch auf uns – und sie kannten sogar schon die ein oder andere klimaneutrale Technologie, wie z. B. Elektroautos, die man an der Steckdose auflädt, anstatt zu tanken.

Eine wichtige und gelungene Aktion, die nicht nur am Tag des globalen Klimastreiktags für Aufmerksamkeit für das Thema werben sollte. Denn die Natur und ihre Ressourcen sind die Zukunft unserer Kinder – und damit geht der Klimawandel uns alle etwas an

In Corona-Zeiten die Kita neu erfinden

Natürlich wurde geschimpft, gemotzt und gemeckert – doch die Teams der element-i Kinderhäusern krempelten auch die Ärmel hoch und fanden neue Wege, um den Geist der element-i Pädagogik unter herausfordernden Pandemie-Bedingungen lebendig zu halten. Eindrucksvoll!

Wo Schatten ist, gibt es auch Licht – fällt manchmal nur nicht so auf. Mir zumindest nicht. Immer wieder ertappe ich mich dabei, dass ich intensiv Haare in Suppen suchen. Damit bin ich nicht alleine: Die Corona-Situation mit ihren Zumutungen und Unwägbarkeiten wirft ein besonderes Schlaglicht auf unsere Angewohnheit, uns an negativen Aspekten des Lebens „festzubeißen“.

Herausforderungen in der Pandemie

Auch in unseren element-i Kinderhäusern fiel und fällt in Pandemie-Zeiten jede Menge Schatten auf: Immer wieder neue Corona-Verordnungen, die last minute größere organisatorische Anpassungen nötig machen und stark in die Pädagogik eingreifen; Lock-Down-Situationen und Quarantänen, die von einem Tag auf den anderen den gewohnten Alltag komplett auf den Kopf stellen; ein ungeheurer Kommunikationsbedarf mit allen Beteiligten, um diesen Wandel praktisch handhabbar zu machen und emotionale Folgen aufzufangen.

„Wir haben viel dazugelernt“

Doch als ich für einen Rückblick auf das erste Corona-Jahr, den ich für das Kita-Fachmagazin KiTa aktuell verfasste, mit Teamleistungen aus element-i Kinderhäusern sprach, war ich überrascht. Die Veränderungen gingen für die Kita-Teams mit echten Herausforderungen einher und erzeugten daher auch jede Menge Unmut. Doch gleichzeitig sahen die Teams auch, was sie durch die Corona-Zeit gewonnen hatten. „Wir sind flexibler geworden und haben zusätzliche digitale Kompetenzen aufgebaut“, hieß es unter anderem. Zum Beispiel fanden Elternabende online statt. Für viele Eltern war das praktisch, denn so konnten beide Elternteile an der Veranstaltung teilnehmen, ohne einen Babysitter finden zu müssen. Für mache senkte das auch die Hemmschwelle, überhaupt teilzunehmen. Viele element-i Kinderhäuser möchten Elternabende daher auch corona-unabhängig künftig ab und an online durchführen.

Lernfeld: Kommunikation

Ein anderes Corona-Lernfeld war der erhöhte Gesprächsbedarf im Team und mit den Familien. Dabei ging es nicht nur um organisatorische Dinge, sondern auch darum, emotionale Tiefpunkte zu erkennen und aufzufangen. Eine Teamleiterin berichtete zum Beispiel, dass sie im ersten Lockdown, als ihre Kita nur eine Notbetreuung anbieten durfte, mit jedem Teammitglied jede Woche 15 Minuten telefonierte, um zu hören, wo der Schuh drückt: Teamhygiene sei in dieser herausfordernden Zeit besonders wichtig, sagt sie. Auch den Eltern bot sie telefonische Sprechstunden an.

In den Lockdown-Phasen erfanden die Fachkräfte ihre Arbeit regelrecht neu. Sie ersannen Wege, um trotzdem mit den Familien in Kontakt zu bleiben und bei den Kindern den Draht zu ihrer Einrichtung nicht abreißen zu lassen. Es gab Aktionen, die die Familien zur Kita führten, teilweise wurden Videos gedreht oder Newsletter versandt. Damit erweiterten die Teams oft ebenfalls digitale Kompetenzen, und sie bauten vielfach neue Kommunikationskanäle auf.

Schwierige Einschränkungen

Als die Kinder wieder in die Kinderhäuser kommen durften, war dort die Arbeit in Kohorten verpflichtend. Jetzt waren die Kinder plötzlich auf ihre Gruppe, ihre Räume und ihre Fachkräfte beschränkt. Die Eltern gaben die Kinder an der Tür ab und durften die Einrichtung nicht betreten. Den Fachkräften war es zeitweise verboten zu singen, weil sie dabei potenziell besonders ansteckend sein könnten. Das alles war ein starker Eingriff in den pädagogischen Alltag und entsprach nicht dem, was die element-i Pädagogik idealerweise vorsieht.

Naturraumpädagogik tritt in den Vordergrund

Mich beeindruckte zu hören, was die Fach- und Leitungskräfte alles taten, um unter den gegebenen Rahmenbedingungen neue Wege zu finden, den Geist der element-i Pädagogik lebendig zu halten. Besonders wichtig wurde die Naturraumpädagogik. Raus ins Grüne, lautete das Motto: Wiesen, Spielplätze, Parks und Wälder boten in dieser restriktiven Zeit willkommene Freiräume. Die Fachkräfte entwickelten Idee, um auch im Freien Impulse zu allen Bildungsbereichen anbieten zu können. Das natürliche Umfeld ist so anregungs- und materialreich, dass es sogar überflüssig ist, dafür Dinge aus der Kita mitzubringen. Steine und Stöcke, Büsche und Baumstämme verwandeln sich je nach Bedarf in Häuser, Tische, Autos, Esswaren… für Rollenspiele, in Klettergeräte und Sportplätze, in Musikinstrumente oder in Experimentier- und Zählmaterial.

Kinder sind offen und veränderungsbereit

Dass auf einmal vieles in der Kita anders sei, damit kämen die meisten Kinder erstaunlich gut zurecht, beobachteten die Teamleitungen, mit denen ich sprach. Sie nähmen die Veränderung offen und vorurteilsfrei an und passten sich in der Regel ganz selbstverständlich an. Es seien die Erwachsenen, Erzieher*innen wie Eltern, die die größeren Probleme damit hätten.

Die Geschichte vom KiKo-Lied

Doch alles machen wohl auch die Kinder nicht mit. Patricia Sigg aus dem pädagogischen Leitungskreis erzählte mir eine amüsante Geschichte aus einem der element-i Kinderhäuser. Die tägliche Kinderkonferenz (KiKo) wird in den element-i Kinderhäusern von einem Lied eingeläutet. Plötzlich durften es die Erzieher*innen jedoch nicht mehr mitsingen. Sie forderten die Kinder auf, das alleine zu tun. Doch niemand sang – obwohl die Kinder das Lied gut kennen. Wenn sie unter sich die KiKo nachspielen, singen sie es lauthals, berichtete Patricia Sigg. Die Fachkräfte versuchten es mit rhythmischem Klatschen, indem sie den Text rezitierten, mit einer Aufnahme vom Band – nichts fruchtete.

Die Kita-Teams ersetzten die Lieder im Tagesablauf daher vielfach durch etwas Neues – durch Rezitationen, Fingerspiele oder von Gebärden begleitete Geschichten. Das funktionierte gut! Viele element-i Pädagog*innen trafen sich dafür eigens zu Online-Qualitäts-Werkstätten, um häuserübergreifend gemeinsam zu erarbeiten, wie sie diese Veränderungen gut gestalten können.

So mach‘ ich es auch!

Ich habe beschlossen, mir von diesem Vorgehen etwas abzuschauen – nicht nur Trübsal blasen, sondern neu denken und andere Wege finden. Denn damit erarbeite ich mir neue Handlungsoptionen und lerne mich selbst besser kennen. Das lohnt sich doch!

Hier gibt es die KiTa-aktuell-Fachbeiträge zum Download:

„Ein Jahr Corona: Drei Kita-Teamleiterinnen ziehen Bilanz“, KiTa aktuell 3/2021 https://www.konzept-e.de/referenzen/publikationen/fachbeitraege-details/news/detail/kita-aktuell-element-i-teamleitungen-blicken-auf-ein-jahr-corona-zurueck/?L=138&cHash=d71c6a511206e2cfc14e42c86eb9060e

„Wir singen jetzt draußen!“, KiTa aktuell 2/2021 https://www.konzept-e.de/referenzen/publikationen/fachbeitraege-details/news/detail/kita-aktuell-nicht-mehr-in-geschlossenen-raeumen-singen-und-jetzt/?L=138&cHash=9ef902b68f95bafe24c58aff80408ed2

Mehr von Eike Ostendorf-Servissoglou

Wege anders gehen: barfuß laufen

Wer kennt es nicht: das wohltuende Gefühl, Socken und Schuhe auszuziehen und barfuß zu sein? Im wahrsten Sinne des Wortes ist damit ein Gefühl von Freiheit verbunden, nicht nur für die Füße und Sinne, sondern für den gesamten Körper. Kinder ziehen ihre Schuhe und Socken gern und oft aus und signalisieren, dass sie barfuß laufen möchten. Haben Kinder ein gutes Körperempfinden, und reagieren sie auf unangenehme Gefühle wie z. B. heiße Füße? Haben die Kinder ein natürliches Bedürfnis und Streben nach sensorischen Erfahrungen?

Warum es förderlich ist, barfuß zu laufen

Kinder lernen ihre Umwelt in der frühen Kindheit in erster Linie über die Sinne kennen. Auch über den Tastsinn der Füße wird ihre Wahrnehmung sensibilisiert und Kinder erfahren, wie sich die Welt um sie herum anfühlt: rau oder glatt, kalt oder warm, hart oder weich etc. Es ist dabei nicht nur das grundsätzliche „Wie fühlt es sich an?“ bedeutsam, sondern auch das subjektive Empfinden: „Wie fühlt sich etwas für mich an? Ist es mir angenehm oder unangenehm?“

Durch den direkten Kontakt der nackten Füße zum Boden findet eine unmittelbarere Körperwahrnehmung statt als mit Schuhen. Kinder haben die Möglichkeit, ihren Körper bewusster zu spüren, einzuschätzen und ihre Körpergrenzen zu erfahren. Die taktile Wahrnehmung erfolgt nicht nur über die Haut an Armen, Händen und Gesicht, sondern auch besonders intensiv über die Empfindungen und Eindrücke, die über die Haut an den Füßen wahrgenommen und verarbeitet werden. Die Füße haben große Fähigkeiten zu differenzierten Wahrnehmungen, da sie dicht mit Tastkörperchen besetzt sind und eine hohe Tastsensibilität besitzen. Durch sie ist es möglich, Strukturen, Konsistenzen, Temperaturen, Größen und Formen zu erfassen und so die Umwelt zu erforschen und kennen bzw. verstehen zu lernen (vgl. Bläsius 2010, S. 14).

Berührungen vermitteln Kindern viele Aspekte, die in ihnen ein Bild des eigenen Körpers und seiner Empfindungen entstehen lassen und damit zur Entwicklung eines Selbstbildes beitragen. Die Entwicklung der taktilen Wahrnehmung hat unter anderem das Ziel, Reize immer besser zu differenzieren (vgl. Bläsius 2010, S. 14f). Ausschließliches Tragen von Schuhen verhindert die sinnliche Begegnung mit der Umwelt und das bewusste Spüren der Fußbewegungen.

Barfuß zu laufen ermöglicht Achtsamkeitserfahrungen. So bietet der direkte Kontakt von Haut zu Boden nicht nur eine Fußmassage, sondern auch ein bewusstes Wahrnehmen von sich selbst im Kontakt mit der Umwelt. Dabei ermöglicht der Naturraum besonders intensive Erfahrungen, da die Untergründe sehr abwechslungsreich sind. Barfuß zu laufen lädt dazu ein, sich zu besinnen und damit auseinanderzusetzen, wie behutsam und vorsichtig man sich je nach Beschaffenheit des Bodens bewegen kann. Nicht nur das Fortbewegen mit nackten Füßen ist ein Sinneserlebnis. Insbesondere jüngere Kinder halten oft inne und sind ganz bei sich, wenn sie ihre Zehen beim Hin- und Herbewegen beobachten.

Wie Füße sich entwickeln

In der frühen Kindheit entwickeln die Füße ihre richtige Form. Bei Säuglingen und Kleinkindern sitzt im inneren Fußgewölbe ein Fettpolster, das den Fuß wie einen Plattfuß erscheinen lässt. Das Laufenlernen trägt dazu bei, dass dieses Fettpolster allmählich verschwindet und sich der Fuß durch die stärker werdenden Muskeln aufrichtet. Durch den Aufbau der Knochen und Muskulatur formt sich das Fußgewölbe. Neben Nährstoffen über die Nahrungsaufnahme ist Bewegung notwendig. Barfußlaufen trägt dazu bei, dass sich die Muskeln des Fußgewölbes festigen und ausbilden. Die Schuhe und das Fußbett stützen die Füße und reduzieren die Eigenaktivität der Muskeln (vgl. Renz-Polster et al. 2012, S. 365f).

Zur Förderung einer guten Entwicklung von Knochen und Muskeln brauchen Füße mechanische Reize, die durch Bewegungsfreiheit (barfuß oder mit rutschfesten Socken) gut ermöglicht werden kann. Barfußlaufen hat zudem positive Effekte für die Entwicklung der Wahrnehmung im Raum. Ohne Schuhe bewegen sich die Füße und Zehen mehr, so dass das Nervensystem intensiver beansprucht wird und Reize weitergibt (vgl. Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte e. V. 2018).

Einfluss auf motorische Fähigkeiten

Eine Studie aus den Jahren 2015/2016 hat untersucht, wie der Zusammenhang zwischen der Entwicklung der motorischen Fähigkeiten und dem Laufen mit oder ohne Schuhe ist. Hierbei kam man zu dem Ergebnis, dass regelmäßige körperliche Aktivitäten ohne Schuhe einen positiven Einfluss auf die motorischen Fähigkeiten haben, insbesondere auf die Entwicklung von Gleichgewichts- und Sprungfähigkeiten (vgl. Springer Medizin 2018). Das Laufen auf unebenen Untergründen unterstützt die Entwicklung des Gleichgewichtssinns und ist intensiver, wenn Reize mit nackten Füßen möglich sind.

Durch Schuhe erhalten Füße mehr Halt und Schutz, gleichzeitig werden weniger Muskeln beansprucht. Barfußlaufen fördert die Beweglichkeit und Kraft der Bänder und Gelenke. Darüber hinaus ist zu beachten, dass Kinder durch ihre Wahrnehmungen ihre Umgebung erkunden, Reize verarbeiten und dadurch ihre Bewegungen verändern (vgl. Zimmer 2019, S. 103ff). Das heißt, durch intensive bzw. unmittelbare sensorische Erfahrungen und den damit zusammenhängenden motorischen Aktivitäten modifizieren Kinder ihre Bewegungsmuster und entwickeln sie weiter.

Risiken versus Entwicklungspotential?

All die genannten positiven Aspekte sind nicht losgelöst von möglichen Gefahren und Risiken zu betrachten. Sind es Insekten auf der Wiese, rutschige Böden mit ausgelaufenen Flüssigkeiten oder Bereiche, in denen Fahrgeräte genutzt werden: Es gilt, mögliche Gefahrenquellen zu eruieren und mit Blick auf das kindliche Verhalten abzuschätzen. Sind es Gefahren, von denen Kinder geschützt werden müssen? Oder bieten die Rahmenbedingungen der Umgebung Chancen, mit den Kindern ins Gespräch zu gehen, sie auf eine mögliche Herausforderung oder Gefahr hinzuweisen und ihnen so die Möglichkeit zu bieten, den Umgang mit Risiken zu erlernen. Renz-Polster betont, dass der Umgang mit Risiken ein wesentlicher Aspekt der kindlichen Entwicklung ist. Nur wenn Kinder Risiken eingehen dürfen, können sie lernen, diese einzuschätzen und mit ihnen umzugehen. Dafür ist eine Umwelt notwendig, die vielfältig ist und möglichst alle Sinne beansprucht (vgl. Renz-Polster/Hüther 2019, S. 180). Kinder können den Umgang mit Risiken dann besonders gut erlernen, wenn kleine und fürs Kind überschaubare Risiken zugelassen werden und auf Gefahren hingewiesen wird, anstatt sie aus dem Weg zu räumen. Kinder vergessen kleine Schrammen schnell, aber (Erfolgs-)Erlebnisse bleiben ihnen lange im Gedächtnis. Die erwachsenen Begleiter*innen sollten immer wieder hinterfragen, wie ein Setting beschaffen ist und welche Schlüsse sie daraus ziehen: Steht die Befürchtung, Kinder könnten sich verletzen, im Vordergrund? Welche Einschränkungen im Körpererleben und -entwicklung des Kindes sind damit verbunden (vgl. Renz-Polster et al. 2012, S. 40)?

Es gibt keine gesetzlichen Grundlagen, die untersagen, dass Kinder barfuß in Kindertagessstätten laufen dürfen. Gesundheitsämter sprechen Empfehlungen aus, die einen sinnvollen und verantwortungsbewussten Umgang befürworten (z. B. während der Einnahme von Mahlzeiten Schuhe zu tragen), und weisen darauf hin, Verletzungsgefahren oder Möglichkeiten der Ansteckung von Infektionskrankheiten zu bedenken. Daher lohnt es sich unbedingt, zunächst im Team und dann mit den Kindern über Freiheiten und Einschränkungen zu verhandeln: Wann und wo dürfen die Kinder barfuß laufen? Wo stellen die Kinder ihre Schuhe ab? So ermöglichen Pädagog*innen den Kindern, neben dem Zutrauen in die eigenen Empfindungen, sich als selbstwirksam und autonom zu erleben.

Erlebnis für die Füße

Bewegung als ganzheitliche Lernerfahrung ist nicht nur für die fein- und grobmotorischen Fähigkeiten wichtig, sondern auch für die Tastsinn und die Körperwahrnehmung. Mangelnde Körpererfahrungen beschränken die geistigen und seelischen Fähigkeiten (vgl. Renz-Polster et al. 2012, S. 39). Unbestritten ist, dass Kinder taktile Erlebnisse brauchen und sie Möglichkeiten dazu benötigen. Wie können wir die Kinder dabei unterstützen, ihre Körperwahrnehmung zu sensibilisieren, ihre Empfindungen ernst nehmen und darauf eingehen? Haben Kinder die Möglichkeit barfuß zu laufen? Welche Signale senden sie und wie gehen Erwachsene darauf ein?

Im Sommer bietet der Naturraum vielfältige Tasterlebnisse für die Füße und weiterführende Impulse für das Körpererleben: Über welchen Untergrund laufe ich? Wo kitzelt es mich? Ist es angenehm? In kühleren Jahreszeiten können unterschiedliche Fußbodenbeläge in den Innenräumen reizvolle Taststraßen ergeben: ist etwas flauschig, warm, kühl, glatt? Probieren Sie es aus und lassen sich auf Wahrnehmungs-Erlebnisse ein.

Literatur

Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte e. V. (2018): Barfußlaufen fördert Geschicklichkeit beim Springen und Balancieren. https://www.kinderaerzte-im-netz.de/news-archiv/meldung/article/barfusslaufen-foerdert-geschicklichkeit-beim-springen-und-balancieren/ (zuletzt abgerufen am 01.08.2021)

Bläsius, Jutta (2010): 3 Minuten für alle Sinne. Übungen für zwischendurch in Kita und Schule. München

Renz-Polster, Herbert; Menche, Nicole; Schäffler, Arne (2012): Gesundheit für Kinder. München

Renz-Polster, Herbert; Hüther, Gerald (2019): Wie Kinder heute wachsen. Natur als Entwicklungsraum. Weinheim

Springer Medizin (2018): Barfußlaufen fördert das Balancegefühl von Kindern. MMW – Fortschritte der Medizin 160/3. www.doi.org/10.1007/s15006-018-0787-3 (zuletzt abgerufen am 01.08.2021)

Zimmer, Renate (2019): Handbuch Sinneswahrnehmung. Freiburg

Mehr von Katja Behres

Vom Umwerfen eines Turms zum selbstgebauten Meisterwerk

Kleinkinder bauen. Kindergartenkinder bauen. Schulkinder bauen. Stellt man unbekanntes, spannendes Material zur Verfügung, beginnen sogar Jugendliche und Erwachsene zu bauen. Dabei kann es sich um die verschiedensten Arten von Bausteinen handeln: um Material für eine Murmelbahn, Alltagsmaterialien, Naturmaterialien oder auch um Dinge, die im ersten Moment gar nicht zum Bauen gedacht sind. Das richtige Material kann inspirieren, fesseln und immer wieder neu zu Wunderwerken anregen.

In der Bauecke, am Marktplatz, auf oder unter einem Tisch, auf einem Podest, im Garten, im Sandkasten, im Flur oder im Wald – überall wird gebaut. Beim Bauen und Konstruieren werden die Eigenschaften des Materials untersucht, ausprobiert, experimentiert. Ein Risiko wird eingegangen, Frust geübt.

Wie baut Alex?

Alex kommt in den Raum geht auf die Materialien zu und wählt ganz bewusst eine Bausteinart aus. Zuerst wird entschieden, wo genau gebaut werden soll: mittig, in der Nähe eines anderen Bauwerkes oder vielleicht nahe der Wand? Alex geht auf das Podest im Raum und beginnt mit dem Bau. Der erste Stein wird gelegt, ein zweiter, dann ein dritter. Das Bauwerk wächst rasch und nimmt Formen an. Alex baut vertikal und horizontal. Das Material scheint spannend zu sein und zu fesseln. Der gesamte Körper bewegt sich gezielt und vorsichtig. Trotzdem geht Alex ein größeres Risiko ein und setzt einen größeren Stein leicht schräg. Der Turm stürzt in sich zusammen. Nach kurzem Schreck, einem kurzen Blick zur pädagogischen Fachkraft wird wieder von vorn begonnen – nun verändert Alex eine kleine Variante. Das Fundament wird erweitert. Ansonsten baut Alex nach dem erneut gleichen Plan.

Von außen betrachtet ist Alex in der eigenen Welt – im Flow und völlig im Tun versunken. Ablenkung von außen scheint kaum möglich oder würde auf große Gegenwehr stoßen. Die Zeit verfliegt. Alex genießt und ruht in sich. Es gilt eine Aufgabe zu lösen, die nach den eigenen Regeln ausführt werden. Diese Aufgabe fesselt und motiviert. Mit dem breiteren Fundament wächst der Turm in die Höhe, ein Stuhl zum Stabilisieren wird geholt. Alex ist voller Selbstvertrauen und weiß, dass diese Aufgabe gelöst werden kann. Das Material ist aufgebraucht, aber das Ergebnis entspricht noch nicht den eigenen Vorstellungen. Das Gebaute wird wieder zerstört. Der Prozess wird weiter optimiert. Dieses Mal wird erneut eine Kleinigkeit in der Konstruktion des Bauwerks verändert. Alex legt bestimmte Teile bewusst beiseite und hebt sie für einen späteren Zeitpunkt auf. Die Bauteile haben nun einen festen Platz im Bauwerk.

Dann verlässt Alex den Raum und sucht fehlendes Material – in der ganzen Kita. Alex kennt sich aus und weiß, welches Material zur Verfügung steht. Alles folgt dem Plan. Nachdem er das mitgebrachte Material eingebaut hat, hält Alex inne, betrachtet das Werk und beschließt, dass es nun fertiggestellt ist. „Was habe ich geschafft?“, mag er denken. Was bleibt ist Stolz. Zufriedenheit. Glück. Selbstbewusstsein. Ausgeglichenheit. Innere Ruhe.

element-i Magazin Turm Bärcheninsel
Abbildung 1: Der Turm (vielen Dank an das Team der element-i Kita Bärcheninsel)

Entwicklungsschritte des Bauens

Kinder erfahren von Anfang an, dass unterschiedliche Dinge mit unterschiedlichen Formen unterschiedliche Eigenschaften haben. Kinder probieren aus, wie sich eine Kugel, ein Würfel verhält und wie sich mehrere miteinander verhalten. Kann man Kugeln stapeln? Rollt ein Würfel? Eigene Erfahrungen macht damit jedes Kind und zieht seine Schlüsse daraus. Es wird mit der Zeit mehr und mehr zum Baumeister, da es die Gesetze der Dinge kennen und einsetzen lernt (Fthenakis 2014, S. 123).

Auch wenn Vieles in der kindlichen Entwicklung genetisch determiniert ist, so sind Entwicklungsverläufe von Kindern höchst individuell. Nach Beobachtungen von Largo jedoch vollziehen sich die Schritte hin zu einer bestimmten Fertigkeit in stets gleicher Reihenfolge (Largo 2016, S. 211). Welche Entwicklungsschritte durchläuft ein Kind beim Bauen und Konstruieren? Welche Fähigkeiten muss ein Kind erwerben, um später Meisterwerke zu erschaffen? Welche motorischen Schritte sind notwendig?

Beeindruckend und zugleich banal ist die einfache Erkenntnis: Jedes Mal, wenn wir Erwachsene beobachten, dass ein Kind etwas macht, das es zuvor noch nie gemacht hat, das es zuvor nicht konnte, dann hat es etwas gelernt (Hille et al. 2019, S. 20).

Es lassen sich bestimmte Entwicklungsschritte, die vor allem die Bereiche der Fein- und Handmotorik betreffen, bei Kindern beobachten. Als Handmotorik ist die Bewegung und Haltung der Hände, auch mit beiden Händen gemeinsam und vor allem auch in Kombination mit Handgelenken und Fingern zu verstehen. Als Handgeschicklichkeit bezeichnet man die Koordination der Bewegungen zur geschickten Manipulation von Gegenständen und zur Nutzung für den alltäglichen Objektgebrauch. Das Zusammenspiel der Koordination von Auge und Händen nennt man visuomotorische Koordination (Auge-Hand-Koordination).

Dabei entwickeln Kinder im Bildungsbereich Bauen und Konstruieren vor allem prozedurales Wissen: Wissen über das „wie“. Das Erlernen passiert implizit, nebenbei und beiläufig und intrinsisch motiviert. Während das Kind einen Turm baut, lernt es etwas über statische Gesetze. Wenn er einstürzt, lernt es etwas über Gravitation. Das Kind sucht sich unterschiedliche Gegenstände zum weiteren Bauen und lernt dabei etwas über den Zusammenhang von Gewichten und Größen.

Die ersten Monate

Neugeborene reagieren bereits nach der Geburt mit reflexartigem Greifen, welches um den vierten Monat verschwindet und sich dann als bewusste Handlung des Säuglings zu einem gezielten Greifen entwickelt. Zu diesem Zeitpunkt können Kinder, sobald sie einen spannenden Gegenstand sehen, ihre Hände gezielt zu diesem Gegenstand steuern und diesen ergreifen. Der auf unterschiedliche Art und Weise ergriffene Gegenstand wird dann zum Mund geführt und kennengelernt – Größe, Gewicht, Form, Oberfläche und Konsistenz.

Mit der Zeit beginnen Kinder, Gegenstände bewusst zu manipulieren, um eine Bewegung auszulösen (z. B. am Mobile). Dies wird als Funktionsspiel bezeichnet. Besonders beeindruckend: Das vier Monate alte Kind greift nach unbewegten und bewegten Gegenständen – und dies zielsicher. Es besitzt so viel physikalisches Grundverständnis, dass es den Weg des Gegenstands voraussagen kann – egal ob der Gegenstand sich in einer Geraden oder in einer Kurve bewegt (Hille et al. 2019, S. 124).

Ab dem 9. Lebensmonat

Mit ca. 9 bis 12 Monaten erkennen Kinder, dass Objekte, die sich nicht mehr in ihrem Sichtfeld befinden, dennoch nicht gänzlich verschwinden, nur weil sie aus dem Blickfeld geraten sind. Diese Erkenntnis wird als Objektpermanenz beschrieben. Wie Stemme & Eickstedt (1998, S. 114) beschreiben, lernt das Kind nun Gegenstände zu identifizieren.

Kinder erkennen, dass ein Ding, das zu Boden fällt, das gleiche Ding ist, das es zuvor in den Händen gehalten hat. Kinder werfen nun immer wieder Dinge vom Hochstuhl und freuen sich, wenn man ihnen diese wieder anreicht. Am Spiel Fallenlassen und Aufheben haben sie großen Spaß. Auch sich selbst zu verstecken, macht mehr und mehr Freude. Kinder wissen nun, dass Dinge, die verschwinden, noch da sind und auch die gleichen bleiben. Das unermüdliche Wegwerfen und Verstecken hilft den Kindern, die Dimensionen des Raumen kennenzulernen. Die Erkenntnis, dass verschwundene Dinge weiterhin da sind, ist ein wichtiger Schritt zum Abstrahieren.

Sie krabbeln gezielt in andere Räume, um Spielgegenstände aufzusuchen. Die bewusste und selbstgesteuerte Bewegung im Raum ist ein weiterer Schritt im Kennenlernen der räumlichen Dimensionen.

Im nächsten Schritt beginnen Kinder auch Dinge umzuwerfen. Flaschen, Becher, Türme nichts ist mehr sicher und wird sofort umgeworfen. Dies kann zum Frust von älteren Kindern und Erwachsenen führen, wenn den jungen Kindern hier eine boshafte Absicht der Handlung unterstellt wird.

Mit 10 Monaten gelingt bereits der Pinzettengriff, mit denen Kinder selbst kleine Krümel vom Boden aufheben können. Was die Kinder plötzlich im Raum alles finden?

Im Alter von 9 bis 15 Monaten sind Schubladen und Kisten nicht mehr sicher – von uns Erwachsenen wird Geduld verlangt, denn es wird ausgeräumt. Alles wird ausgeräumt. Gebaut wird in dieser Phase noch nicht. Umschubsen, Runterschmeißen, Ausräumen bestimmen das Handeln des Kindes. Es erkennt, dass ein Gegenstand in einem anderen sein kann.

Die nächste Phase beginnt, wenn Kinder verschiedene Gegenstände ineinanderstecken. Was passt wo herein? Kleine Autos verschwinden in Löchern von Podesten, kleine Becher werden in große gesteckt. Passt die Schüssel in den Topf? Ebenso werden Dinge von A nach B transportiert – in Wägen, Taschen, Kisten.

Ab dem 15. Lebensmonat

Und dann plötzlich versuchen die Kinder, Dinge zu stapeln. Langsam und vorsichtig wird ausprobiert, was aufeinandergelegt werden kann – erst zwei Bausteine, dann drei. Aber auch alles andere, was sich stapeln lässt, wird gestapelt. Das Kind beginnt die vertikale Dimension beim Spiel auf verschiedene Art und Weise kennenzulernen (vgl. Largo 2016, S. 209ff.). Zuerst handelt es sich um eher kleinteiliges Bauen auf einer Stelle. Die meisten Kinder können im Alter von 18 Monaten zwei bis vier Bausteine aufeinander stapeln. Mit 24 Monaten widmet sich das Kind zunächst dem horizontalen Bauen. Gegenstände werden aneinandergereiht. Mit ungefähr 30 Monaten verbindet das Kind dann das vertikale und horizontalem Bauen. Acht Bausteine stapeln die meisten Kinder im Alter von 36 Monaten. Und dann geht es richtig los: Die Bauten werden höher, komplexer und nach Plan gebaut. Kindergartenkinder verbinden die Dimensionen äußerst geschickt miteinander, sodass mithilfe des entwickelten räumlichen Vorstellungsvermögens dreidimensionale Wunderwerke entstehen. Kinder bauen gemeinsam als Team und mehrere Tage an einem Bauwerk. Sie können Bauwerke nach eigenem Plan, oder nach Vorlage nachbauen. Nur der Raum und die Materialmenge beschränken die Komplexität des Bauwerkes.

Ich habe vor einiger Zeit mit meinen Nichten mein Lieblingsbaumaterial vom Dachboden geholt. Zum Glück hat meine Mutter es nicht übers Herz gebracht, dieses zu entsorgen: Meine Holzeisenbahn und meine geliebte Murmelbahn. Beim Bau kamen Erinnerungen zurück, ich fühlte mich zurückversetzt in diese Zeit. Womit haben Sie als Kind am liebsten gebaut? Mit welchem Bauwerk haben die Kinder Ihrer Kohorte Sie das letzte Mal zum Staunen gebracht? Gern können Sie mir Fotos der Bauwerke zukommen lassen – vielleicht schaffen Sie es in meinen nächsten Artikel.

Literaturverzeichnis

Fthenakis, W. E. (2014): Natur-Wissen schaffen 2. Frühe mathematische Bildung. Essen: LOGO Lern-Spiel-Verlag.

Hille, K.; Evanschitzky, P.; Bauer, A. (2019): Das Kind – Die Entwicklung zwischen drei und sechs Jahren. Psychologie für pädagogische Fachkräfte. Hamburg: Verlag Handwerk und Technik.

Largo, R. H. (2016): Kinderjahre. Die Individualität des Kindes als erzieherische Herausforderung. 31. Aufl. München: Piper Verlag.

Stemme, G.; von Eickstedt D. (1998): Die frühkindliche Bewegungsentwicklung. Vielfalt und Besonderheiten. Düsseldorf: verlag selbstbestimmtes leben.​

Mehr von Lisa Reuß

Nachhaltigkeit: BNE in der frühkindlichen Bildung 

Für uns und die nachfolgenden Generationen müssen wir uns die Frage stellen, wie wir in Zukunft leben wollen. Weltweite Herausforderungen, wie Armut, Pandemien oder der steigende Meeresspiegel, betreffen uns alle und können nur von allen gemeinsam gelöst werden. Dieser Gedanke einer weltweit vereinten und gemeinsamen Herangehensweise zur Lösung steckt damit auch hinter der Formulierung der so genannten Global Goals.  

Mit der Vision, eine friedliche und nachhaltige Gesellschaft zu gestalten, haben die Vereinten Nationen daher im Herbst 2015 die globale Nachhaltigkeitsagenda verabschiedet. 17 Ziele bilden den Kern der Agenda und fassen zusammen, in welchen Bereichen nachhaltige Entwicklung gestärkt und verankert werden muss.  

Um diese Ziele zunächst einmal zu verstehen und in den eigenen Kontext einzuordnen, muss jeder Einzelne nachvollziehen können, welche Auswirkungen das eigene Handeln auf die Welt hat. So entstehen aus den Nachhaltigkeitszielen wiederum Lernziele, durch die Menschen zu einem zukunftsfähigen Denken und Handeln befähigt werden sollen. In dem Zusammenhang steht das Kürzel „BNE“ für eine Bildung für nachhaltige Entwicklung. „Entwicklung ist dann nachhaltig, wenn Menschen weltweit, gegenwärtig und in Zukunft, würdig leben und ihre Bedürfnisse und Talente unter Berücksichtigung planetarer Grenzen entfalten können. Eine solche gesellschaftliche Transformation erfordert starke Institutionen, partizipative Entscheidungen und Konfliktlösungen, Wissen, Technologien sowie neue Verhaltensmuster.“ (bne-portal.de, Bundesministerium für Bildung und Forschung) 

In der element-i Pädagogik wird jedes Kind individuell nach dessen Interessen und Fähigkeiten gefördert und gefordert, damit es sich zu einem selbstständigen, mündigen und starken Erwachsenen entwickelt, der sich und die Welt reflektiert und Verantwortung für sein Handeln übernimmt. 

Früh übt sich

Wer sein Handeln und dessen Auswirkungen auf die Welt versteht, der ist auch in der Lage, verantwortungsvolle, nachhaltige Entscheidungen zu treffen. Der Grundstein dafür sollte also bereits bei den Kleinsten gelegt werden. Bereits in der frühkindlichen Bildung können Kindern zukunftsrelevante Fragestellungen auf eine spielerische, altersgerechte Art angeboten werden, um sie so für BNE-Themen zu sensibilisieren.  

Konzept-e macht sich als Trägernetzwerk seit Jahren stark für Themen wie Globales Lernen, BNE, die Umsetzung der Global Goals und eine sinnstiftende Naturraumpädagogik. Aus diesem Grund haben die element-i Bildungsstiftung und die Freie Duale Fachakademie für Pädagogik, die Global Goals Aktionstage ins Leben gerufen. 

Verschiedene Kinderhäuser, wie beispielsweise die element-i Betriebskindertagesstätte der Firma Weleda in Schwäbisch Gmünd, sind ebenfalls bereits auf einem guten Weg. Das Kinderhaus Weleda ist einer von vielen Akteur*innen des Netzwerks Kita-weltbewusst 2030 und setzt sich für mehr Sichtbarkeit von BNE in der frühkindlichen Bildung ein.  

Warum eigentlich Bildung?

Ja, warum? Könnten nicht Gesetze die Voraussetzungen für nachhaltige Entwicklung viel besser durchsetzen? Nein, denn gute Bildung geht über reines Faktenwissen hinaus. Gute Bildung ermöglicht es Menschen, Fähigkeiten zu entwickeln wie etwa: 

  • vorausschauendes Denken, 
  • interdisziplinäres Wissen, 
  • autonomes Handeln, 
  • und die Teilnahme an gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen. 

BNE dient also nicht nur dazu, Nachhaltigkeitsthemen, wie Klimaschutz und Biodiversität zu thematisieren, sondern gestaltet Lernen auf interaktive Weise, um forschendes, aktionsorientiertes und transformatives Lernen zu ermöglichen. Mitmachen fördert kritisches Denken, Teamfähigkeit und weitere Fähigkeiten. Ganz nach dem element-i Motto #eskommtaufmichan. 

Mehr von Christian Klar

Die Brenzbären sind los in Giengen!

Ganz im Osten von Baden-Württemberg, an der Grenze zu Bayern, liegt die ehemalige Reichsstadt Giengen an der Brenz. Bekannt ist die Stadt vor allem für die seit 1880 bestehende Stofftierfirma Steiff, die dort am Stammsitz rund 400 Mitarbeiter*innen beschäftigt. Seit dem 27. September 2021 toben nun auch rund 60 „Brenzbären“ durch das neu gebaute element-i Kinderhaus.

Für die Stadt Giengen bringt die neue Kita eine konsequente Erweiterung des Betreuungsangebots. „Wir in Giengen bemühen uns sehr um familiengerechte Angebote, auch in der Kinderbetreuung“, erläutert Oberbürgermeister Dieter Henle. „Die Zusammenarbeit mit Konzept-e verlief von Anfang an sehr gut. Das Betreuungskonzept beinhaltet vom inhaltlichen wie vom zeitlichen Angebot her neue Aspekte, die Erweiterung der Trägervielfalt empfinde ich als positiv. Zudem helfen die 60 Plätze im element-i Kinderhaus Brenzbären, unsere ehrgeizige Kindergartenbedarfsplanung kurzfristig umzusetzen.“

Die Kita befindet sich im Zentrum von Giengen, in der Ferdinand-Porsche-Straße 6, direkt neben der Lina-Hähnle-Schule. Der Standort bietet den Kindern die Möglichkeit, im Sinne einer durchgängigen Bildungsbiografie, von 6 Monaten an bis zum Ende der Grundschulzeit oder bis zur weiterführenden Schule an einem Bildungscampus zu bleiben.

„Bei uns finden Eltern die beste Betreuung für ihr Kind und eine optimale Vereinbarkeit von Beruf und Familie“, erklärt Simone Stana, Teamleiterin der Brenzbären, „wir haben ganztägig geöffnet – von 7:30 bis 17:30 Uhr.“ Flexible Betreuungszeiten sorgen für genügend Planungsspielraum, um Familie und Beruf unter einen Hut zu bekommen.

Räume und Material: Zur Bedeutung einer guten Gestaltung 

Kinder leben in Räumen – ganz automatisch. Gerade für die frühkindliche Erziehung und Bildung nimmt Raumgestaltung so nochmal einen besonderen Stellenwert ein. Der Raum ist hier in speziellem Maße Ausgangspunkt des kindlichen Wahrnehmens, Fragens und Forschens (vgl. von der Beek et al. 2011, S. 189). 

Ausgangspunkt dafür ist die Feststellung, dass Kinder von Geburt an ihre Welt über ihren Körper und ihre Sinne wahrnehmen (vgl. von der Beek 2014, S. 18). Konkret sind es die ästhetischen Erfahrungen aus der Umwelt, aus denen heraus sich der Selbstbildungsprozess aufbaut. Besonders junge Kinder verknüpfen Sinneswahrnehmung mit handelnden Bewegungserfahrungen (sensumotorische Integration) (vgl. Kammerlander et al. 2018, S. 14; von der Beek et al. 2011, S. 189). Vielfältige Wahrnehmungserfahrungen sind in dieser Entwicklungsphase besonders bedeutend (von der Beek 2014, S. 18).   

Damit zeigt sich, dass besonders sinn-volle Räume für Kinder einen optimalen Beitrag zur Selbstbildung beisteuern. Gemeint sind damit Räume, die entsprechende sinnliche Erfahrungen und alles Notwendige zum Forschen und Explorieren bereithalten und die zum eigenaktiven Handeln und einer Auseinandersetzen mit der Umgebung auffordern (vgl. Zeiß 2012, S. 80; vgl. von der Beek 2014, S. 18).  

Die Rolle der pädagogischen Fachkraft

Zum Bildungsprozess gehört aber auch, dass Kinder die gemachten sinnlichen Erfahrungen in einen inneren Bedeutungszusammenhang setzen, was stets im Zusammenhang mit Vertrautem steht (vgl. Kammerlander et al. 2018, S. 14). Meist nehmen die Personen im Raum diese Rolle ein. Bekannte Gesichter geben den Kindern die nötige Sicherheit, um in die Exploration zu gehen. Doch auch der vertraute Raum selbst kann eine haltgebende Komponente für die Kinder darstellen und damit das Basislager zur Welterkundung sein (vgl. von der Beek 2014, S. 50). Gerade bezüglich der Anordnung von Möbeln und der Grundarchitektur ist dies zu beachten: Dem Kind sollte stets die Möglichkeit gegeben sein, die Bindung und den Bezug zur Fachkraft herzustellen, und sei es nur durch Blickkontakt (vgl. von der Beek et al. 2011, S. 190f).   

Die Reggio-Pädagogik ist im Bezug zur Raumgestaltung eine häufig zitierte Konzeption mit ihrer Grundannahme, den Raum als dritten Erzieher zu betrachten. Die Metapher kann missverstanden werden, da nicht vollständig geklärt ist, wer oder was der erste bzw. zweite Erzieher ist. Zum Teil wird die Annahme vertreten, dass das Kind selbst den ersten Erzieher und das soziale Umfeld den zweiten Erzieher des Kindes darstellen. Fakt ist aber, dass auch die Reggio-Pädagogik die Komponenten Geborgenheit und Sicherheit sowie Herausforderung als Hauptaufgaben des Bildungsraumes beschreibt (vgl. Knauf 2005). 

Betrachtet man den Aufbau des kindlichen Bildungsprozesses, stellt man schnell fest, dass damit eine hohe Herausforderung an professionelles pädagogisches Handeln gestellt wird – ohne dass die Pädagog*innen schon selbst aktiv waren, denkt man zumindest an verbale und zwischenmenschliche Kommunikation. Räume beeinflussen die Bildungsprozesse durch ihr pures Vorhandensein und ihre Gestaltung (vgl. von der Beek et al. 2011, S. 189). Durch Architektur, Möbel und Materialien bilden sie den Aktivitätsrahmen für Kinder, lassen aber für die Pädagog*innen vermeintlich wenig flexible Handlungsmöglichkeiten (vgl. Zeiß 2012, S. 81). Doch gerade Raumgestaltung ist schon pädagogisches Handeln, manchmal sogar das wichtigere. In dem Moment, wo Räume sinnliche Erfahrungen und anregende und interessante Materialien bereithalten müssen, ist die Pädagog*in gefragt: Denn diese Umwelt im professionellen Kontext bereitzustellen ist ihre Aufgabe! Im fachtheoretischen Diskurs hat dies bisher leider wenig Beachtung gefunden, seit einigen Jahren zeichnet sich hier eine intensivere Ausrichtung ab. Auch Qualitätsfeststellungsverfahren wie TopKita widmen sich zunehmend der räumlichen Qualität, sodass das Thema zunehmend an Relevanz gewinnt.  

Voraussetzung für eine anregende Umwelt ist eine intensive Beobachtung des Kindes und das Erkennen und Filtern seiner Bedürfnisse und Interessen im Entwicklungsstadium. Beides ist damit als weitere bedeutende pädagogische Aufgabe unabdingbar mit der Raumgestaltung verbunden. Anhand der Beobachtungen und dem darin erkannten kindlichen Interesse kann die Pädagog*in die Materialgestaltung ausrichten. Die räumliche Gestaltung ist leider oft durch verankerte Möbel begrenzt.  

Weniger ist mehr

Mit Blick auf die Materialauswahl sollte die Idee, mehr Zeugs zum Spielen bereitzustellen statt (künstlich angefertigtes) Spielzeug, leitend sein. Letzteres hat nach verschiedenen Erhebungen einend deutlich höheren Aufforderungscharakter für Kinder (vgl. Zeiß 2012, S. 81). Auch die Quantität der verschiedenen Spielmaterialien muss berücksichtigt werden, das Credo hier lautet: weniger ist mehr. Ein unüberschaubares Spielfeld sorgt schnell für Reizüberflutung und damit zu destruktivem Spiel (vgl. Franz 2016, S. 7). Entsprechend gehört die Anordnung von Materialien im Sinne einer vorbereiteten (geordneten und strukturierten) Umgebung nach Montessori zur stärkeren Konzentration und Ruhe beim Kind. Weitere Kriterien zur Materialauswahl (vgl. Franz 2016, S. 3ff):  

  • Deutungs- und Funktionsoffenheit: um die Kreativität und Kommunikation der Kinder anzuregen, indem das Material umgedeutet und abgesprochen werden muss. 
  • Natürliche Materialien besitzen einen hohen ästhetischen Wert mit begrenztem Farbspektrum und angemessener Haptik. Kinder zeigen hier ein deutlich engagierteres und lustvolleren Spiel. 
  • Lebensechte Materialien sind ihnen aus dem Alltagsleben mit den Erwachsenen vertraut und laden zu einer intensiveren Untersuchung ein. Nebenher können die Kinder den erlebten Alltag nachspielen und einen Blick über den kulturellen Tellerrand werfen.  
  • Interessante Materialien dienen der tieferen Auseinandersetzung mit aktuellen Themen. 
  • Entwicklungsgerechte Materialien: Jedes Entwicklungsstadium bringt eigene Spielschemata mit sich, denen bei der Auswahl von Material Rechnung getragen werden muss. 
  • Gleiche Materialien und davon möglichst viel. So reduzieren sich Konflikte und Stress durch Wartezeiten, und die Kinder können in ihrem Schaffen aus den Vollen schöpfen.  
  • Gendergerechte Materialien: Dadurch können traditionelle Rollenklischees hinterfragt werden und kulturelle Vielfalt gelebt werden. 
  • Aufzubrauchende Materialien: Kindern geht es meist um den Schaffensprozess. Entsprechend brauchen sie manche Materialien in hoher Quantität, um die Eigenschaften zu erkunden. Material muss also in Mengen verbrauchbar sein dürfen.  
  • Beziehungsvolle Materialien bieten den Kindern subjektive Erfahrungen, die Möglichkeit, Wünsche und Emotionen auszuleben, indem sie in Rollenspiele einbezogen und eigene Erfahrungen verarbeitet werden können.  

Abschließend sei festgehalten, dass der Prozess der Raum- und Materialgestaltung nie endet, man damit nie fertig ist. Eher ist es ein spiralartiger Prozess, in dem die Gestaltung von Raum und Material dem Entwicklungsstand angemessen ist und geeignet ist, Kinder voranzubringen, was wieder eine neue Gestaltung fordert. Es ist eine der ursprünglichsten Aufgaben der Frühpädagogik – und eine sehr lohnende, wenn man Kinder vertieft ins Material spielen und handeln sieht! 

Literatur 

Franz, B. (2016): Zehn Kriterien zur Auswahl entwicklungsfördernder Spielmaterialien. In: Krenz, A. und Burtscher, I. (Hrsg.): Handbuch für ErzieherInnen. 87. Ausgabe. Landsberg: Olzog. 

Kammerlander, C; Rehn, M.; Pädagogischer Leitungskreis (2018): element-i – Pädagogische Konzeption. Stuttgart 

Knauf, T. (2005): Reggio-Pädagogik: Kind- und bildungsorientiert. Verfügbar unter: https://www.kindergartenpaedagogik.de/fachartikel/paedagogische-ansaetze/moderne-paedagogische-ansaetze/1138 (zuletzt abgerufen am 20.6.2021). 

von der Beek, A. (2014): Bildungsräume für Kinder von Null bis Drei. 6. Auflage. Weimar: verlag das netz.  

von der Beek, A.; Fuchs, R.; Schäfer, G. & Strätz, R. (2011): Entwurf einer Bildungsvereinbarung für Kindertagesstätten in Nordrhein-Westfalen. In: Schäfer, G. (Hrsg.): Bildung beginnt mit der Geburt. 4. Auflage. Berlin: Cornelsen.  

Zeiß, J. (2011): Anregungsreiche Räume für die Jüngsten. In: Neuß, H. (Hrsg.): Grundwissen Krippenpädagogik. 2. Auflage. Berlin: Cornelsen, S. 86-96. 

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