Sprache in der Natur entdecken

Die deutsche Sprache ist reich an Wörtern, die die Sprechweise der Vögel bezeichnet. So tschirpt oder krispelt der Zaunkönig, es zetscht und schwatzt die Elster. Und die Krähe krächzt und kreischt. Es scheint 300 Verben zu geben, um den Gesang der vielen Vogelarten zu beschreiben (Krauss 2017)Unglaublich! Sicherlich müssen wir nicht all diese Wörter kennen, aber einige der lautmalerischen Verben bereichern unsere sprachliche Welt und besonders die der Kinder.

Entdeckungen bereichern den Wortschatz von Kindern

Die Natur ist reich, und wenn Sie mit den Kindern draußen sind, gibt es viel zu entdecken. Und alle Entdeckungen können sprachlich gefasst werden. Da wird schlichtweg der Wortschatz erweitert: Wie heißt der Baum? Ach ja, eine Weide steht auch im Kita-Garten. Die Birke gibt es an der Straße zum SeeBei Oma und Opa gibt es einen großen Wald mit Buchen. Und wenn Sie als Pädagog*in den Baum, den Strauch oder die Blume nicht kennen, so wäre es ein guter Anlass, sich als Lernende auf den Weg zu machen und mit den Kindern zu überlegen, wo man die Information über diese Pflanze herbekommen kann. Ein zu rasches „Wir gucken im Bestimmungsbuch oder bei Google nach.“ verkürzt den Weg der Erkenntnis. Ermuntern Sie die Kinder, Hypothesen aufzustellen, wo man nachfragen kann, wer es wissen könnte. Vielleicht kennen die Kinder einen Gärtner oder eine Gärtnerin, den/die man fragen könnte – vielleicht gibt es in der Elternschaft einen Förster oder eine Försterin. Oder waren Sie schon einmal in der Baumschule mit den Kindern? Flugs ist man bei Berufen und Orten, die sich kennenzulernen lohnen. Vielleicht gibt es in der Nähe Ihrer element-i Kita eine Gärtnereidie Sie mit einer kleinen Kindergruppe (coronakonform, natürlich!) besuchen können. Da drängt sich die nächste Entdeckerfrage auf: „Wie kommen wir eigentlich dorthin?“  

Die Natur lässt sich beschreibenDie Blätter eines Baumes haben eine Form, sind spitz oder rundlich, zackig oder gefächert, stachelig oder glatt. Auf der Unterseite des Blattes befinden sich Sporen oder treten die Blattadern besser hervor, das Blatt ist hellgrün oder dunkelgrün, verfärbt sich im Herbst gelb oder eben bei den meisten Nadelbäumen nichtWie fühlt sich das Blatt auf der Haut an? Ist es weich oder rau, kitzelt oder kratzt es? Damit sind wir bei Adjektiven und Verben, die zusätzlich dabei helfen, unsere Wahrnehmungen sprachlich zu fassen und sie anderen näher zu bringen. Eine wichtige Grundlage für die Bildungslaufbahn in und nach der Kita: genau hinsehen, sich im Beschreiben üben und durch zahlreiche Wiederholungen sicherer werden, vergleichen und ordnen u.a.mDiese sprachlichen Kompetenzen helfen Kindern später im Unterricht zu folgen, wenn es darum geht, eine Textaufgabe in Mathe zu verstehen, wenn Arbeitsanweisungen in Sachkunde ausgeführt werden sollen. Es sei an dieser Stelle der wunderbare Roman von H.-J. Ortheil erwähnt und empfohlen. In dem Buch geht es um ein Kind, das sprechen kann, aber über einen längeren Zeitraum nicht spricht. Der Vater schult die Wahrnehmungen des Kindes mit großer Freude für beide und hält über die Kunst, die Natur wahrzunehmen und zu beschreiben, die Sprachfähigkeit des Jungen lebendig.  

Die Kleintiere, die Sie beim Spaziergang entdecken, haben vielleicht keine Beine wie wir. Das mag die faszinierende Schnecke sein oder ein glatter, sich windender Regenwurm. Oder die Kinder entdecken Spinnen und zählen deren Beine (jetzt im Herbst besonders leicht, weil die Spinnen über den Sommer gewachsen und fetter sind als im Frühling). Und warum haben die Spinnen mehr Beine als Insekten. Sie bestaunen die Flügel von Schmetterlingen. „Wie würde denn der Schmetterling fliegen, wenn er nur einen Flügel hätte?“

Den Dialog über die Entdeckungen aufrechterhalten

Das Wissen über Natur wird durch die Ausflüge erweitert: Was isst denn die Schnecke, wo wohnt der Regenwurm, warum hat die Schnecke ihr Haus immer dabei? Sind alle schwarz-gelben Insekten Wespen? Das eine oder andere Kind kann etwas beitragen, weil es dazu ein Buch kennt oder Schnecken, Bienen oder Regenwürmer bereits beobachtet hat. Nehmen Sie sich Zeit bei Ihren Ausflügen mit den Kindern und reflektieren Sie (auch mit den Kindern), ob es Ihnen gelingt, die Themen der Kinder sprachlich aufzugreifen, ihnen Anregungen und Impulse zu geben, die den natürlichen Wissensdurst der Kinder lebendig halten. „Wie sieht das Nest denn aus?“, „Wie wohnt denn die kleine Maus?“, „Wie bewegt sich die Schnecke?“, „Wie fühlt sich das Blatt an?“ Wiederholen Sie gern und oft, was Sie von den Kindern hören und betonen Sie die neuen Wörter deutlich. Damit bleiben die Wörter nicht flüchtig, sondern werden zum lebendigen Wortschatz der Kinder. Oder versprachlichen Sie, worauf die Kinder zeigen: „Ja, richtig. Dort sehe ich einen Käfer. Wie der Käfer wohl heißt?“ Suchen Sie dabei die Aufmerksamkeit des Kindes durch räumliche Nähe und vor allem Blickkontakt. Die Begeisterung, die Sie empfinden und auszudrücken vermögen, überträgt sich auf die Kinder.  

Nach dem Ausflug lässt sich in der Kita jedes Thema fortführen. Impulse dazu geben Bücher, wie zum Beispiel Meyers Kinderbibliothek. Vielleicht fragen Sie die Kinder, ob sie gemeinsam eine Wand-Dokumentation erstellen wollen. Dafür können alle neuen Wörter nochmals gesagt und aufgeschrieben werden. Oder bieten Sie im Erzählkreis als Thema die Entdeckungen eines Ausflugs an. Die Kinder werden so animiert, Erlebtes aus ihrer Erinnerung heraus zu beschreiben und können sich darin üben, den anderen Kindern Erlebtes zu vermitteln. Und Sie? Sie haben die Möglichkeit, die Erzählungen zu erweitern, auf neue Wörter hinzuweisen oder die Begeisterung lebendig zu halten. 

Das machen Sie ohnehin schon alles? Ist nicht neu für Sie? Umso besser: Dann ist Zeit zu überlegen, welche sprachförderliche Strategie verfeinert werden kann, welches Kind zusätzliche Aufmerksamkeit braucht und welches Projekt in der Natur mit den Kindern geplant werden kann. 

Literatur

De Hugo, Pierre (2010): Die Schnecke. FISCHER – Meyers Kinderbibliothek. Frankfurt (In der Reihe sind zahlreiche Bände zu finden.)
Hofmann, B. (2020): Sprachförderung in der Kita. Alltagsintegriert – ganzheitlich – praxisorientiert. Verlag PRO Kita: Bonn. Ausgabe September, S. 2-3
Krauss, P. (2017): Singt der Vogel, ruft er oder schlägt er? Handwörterbuch der Vogellaute. 3. Auflage. Matthes & Seitz: Berlin
Ortheil, H.-J. (2011): Die Erfindung des Lebens. 17. Auflage. Btb: Berlin

Mehr von Christina Henning

Fasching für Zuhause

Das element-i Kinderhaus Finkenburg ist wie alle anderen Einrichtungen derzeit geschlossen. Lediglich die Kinder der Notbetreuung können somit gemeinsam mit den pädagogischen Fachkräften Fasching feiern. Da die Erzieher*innen mit den anderen Familien auch während der Schließzeit Kontakt halten, haben sie erfahren wie traurig die anderen Kinder waren, dass es in diesem Jahr keinen Fasching in der Finkenburg für sie geben wird. Daher hat das Team der Finkenburg sich Gedanken gemacht und schließlich jedem der über 45 Kinder (unter Beachtung der Corona-Regelungen) eine Faschingstüte vor die Haustür gestellt.

Beinhaltet hat die Tüte alles, was man für einen Faschingsimpuls zuhause gebrauchen kann:

  • Eine Muffins-Backmischung mit Rezeptanleitung
  • Eine Konfettikanone zum Basteln
  • Eine Anleitung für eine Maske
  • Bonbons
  • Luftschlangen
  • Faschingslieder

Die Tüten haben die Erzieher*innen selbst aus Zeitungspapier gebastelt. Die Freude an den Haustüren war groß und die Pädagog*innen haben direkt noch Fotos für das Kita Portfolio gemacht. Inzwischen hat das Kinderhaus Bilder einiger glücklicher Kinder erhalten. Alle haben schon fleißig gebastelt, gebacken und natürlich gefeiert.

„Das Kleinkind muss an die frische Luft!“

Wirft man einen Blick in die Theorie und die Ratgeber zur Naturpädagogik, stellt man schnell fest, dass Tipps, Anregungen und Praxishandreichungen für die Jüngsten nur sehr spärlich aufgelistet sind. Meist beziehen sich die Bücher auf Kinder im Alter ab drei oder vier Jahren. Man könnte den Eindruck gewinnen, dass die Kleinkinder die Beschäftigung draußen und den Umgang mit der Natur (noch) nicht brauchen. Dem ist nicht so!

Gerade Kleinkindern bietet der Natur-Raum fulminante Möglichkeiten zur Exploration, zum Ausprobieren und Welt-Aneignen. Renz-Polster und Hüther postulieren sogar das Recht der Kinder auf Natur als ihren angestammten Entwicklungsraum (vgl. Textor, 2014).

Die Bedeutung der Natur und deren Nutzung im (pädagogischen) Alltag für Kleinkinder

Betrachten wir zunächst das motivationale Lernen: Positive Emotionen und Begeisterung sind die Grundlage für nachhaltiges und vertieftes Lernen. Um ein nachhaltiges Interesse an Natur entwickeln zu können und sich für ihre Phänomene zu begeistern, muss man sie zunächst einmal kennen lernen. Ein intensives Ausprobieren und Wahrnehmen, schon im frühen Kindesalter, schafft eine Beziehung zur Natur, die als sinnvoll und befriedigend erlebt wird. Im Laufe der Zeit entstehen weiterführende Fragen und das Interesse, sich mit dem Phänomen Natur weiter zu beschäftigen und sie zu verstehen. Es braucht gerade für dieses Verständnis einen Erfahrungskontext, da hierauf Wissen und Können aufbauen. Letztlich wird in diesem frühen Alter der eigentliche Grundstein für Umweltbewusstsein und den Schutz von Natur und Umwelt gelegt. Später einsetzende Bildung für nachhaltige Entwicklung wirkt bedeutend weniger nachhaltig (vgl. Brodbeck, 2008).

Diese Darstellung zeichnet schon die große Bedeutung von Natur-Erfahrungen, auch und gerade für die Jüngsten. Betrachtet man das Lernen im Kleinkind-Bereich konkret, fügen sich weitere Aspekte hinzu: Lernen ist hier vor allem sensomotorisch angelegt. Das Kleinkind lernt mit Körper und Sinnen durch bewusste und unbewusste Handlungen. Taktile Erfahrungen sind dabei ab der Geburt für den Säugling bedeutend. Anregungen und Herausforderungen im Spiel regen Denk- und Verarbeitungsprozesse an. Gerade die Natur bietet für diese Prozesse eine hervorragende Grundlage: Man kann sie mit allen Sinnen erleben und be-greifen. Sie beinhaltet außerdem biologische und physikalische Prozesse, die – ähnlich wie Versuchsreihen – durch wiederkehrende Spielhandlung entdeckt, verinnerlicht und variiert werden (vgl. Hanck, 2019). Natur regt auch zum Sammeln, Horten, Kategorisieren und Vergleichen an – Aktivitäten, die man bei Kleinkindern ganz alltäglich immer wieder beobachtet und die letztlich grundlegendste Tätigkeiten von Forschung und Wissenschaft darstellen (vgl. Schäfer, 2011).

Allen Kindern und den jüngsten in den Einrichtungen besonders bietet Natur und der Naturraum so ein ideales Setting, um ihrem ureigensten Forscherdrang und ihrer Neugierde mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln nachzukommen. Das selbstbestimmte Lernen ist dabei gerade für die Krippenpädagogik im Vordergrund.

So fördern Einrichtungen und Pädagogen das Naturverständnis

Eine freudige und eigenständige Exploration gerade im freien Naturraum braucht eine tragfähige Beziehung. Die Gewissheit einer verlässlichen Bezugsperson in der Nähe, die auch Rückzugsort, Schutz, Wärme und Ansprache ist, ist die Grundlage für ein selbstständig erkundendes und sich selbst bildendes Kind. Die Bezugsperson ist gleichzeitig auch Mitspieler*in des Kleinkindes. Durch Nachahmen, Vorbild und einer Beziehung auf Augenhöhe entsteht ein Wechselspiel zwischen Kind und Pädagog*in aus Vorgaben und Imitation. Variation und Lerneffekt können schon durch kleine Änderungen in Haltung, Mimik und Material erwirkt werden, die das Kind aufgreift und selbst weiterentwickelt, bis der Impuls wieder bei der Pädagog*in ankommt. Lernprozesse können so durch eine zugewandte Beziehung und eine stabile Bindung effektiv und nachhaltig angestoßen werden (vgl. Hank, 2019).

Selbstverständlich ist auch das Bereitstellen einer Umwelt, die entdeckt werden will und vielfältige Naturphänomene zum Wahrnehmen und Beobachten bietet, ein wichtiges Element. Um sich tatsächlich vertiefen zu können, bedarf es nicht zwangsläufig einer großen Fläche. Auch auf kleinem Raum lassen sich elementare Naturerfahrungen machen. Besonders junge Kinder verlieren sich in ihren Tätigkeiten. Ihre Wahrnehmungen sind viel intensiver als die von Erwachsenen, da sie sie zum ersten Mal erleben. Jede Tätigkeit in der Natur braucht Zeit für den individuellen Rhythmus des kleinen Entdeckers. Die begleitende Pädagog*in bringt entsprechend Geduld mit, dem Kind diesen Raum zu geben, und Interesse, diesen Raum zu nutzen und zu erweitern. Auch für junge Kinder bietet sich eine Dokumentation und Ausstellung in entwicklungsgerechter Art an. Diese können bereits in diesem Alter Anlass für neue Fragestellungen und Aktivitäten sein und regen zur nachhaltigen Wiederholung und Variation an (vgl. Hank, 2019 und Textor, 2014).

Der Zugang zur Naturraumpädagogik und deren Nutzung auch für die Jüngsten ist also sehr wertvoll und gut umsetzbar. Gehen Sie mit Ihren Kleinkindern nach draußen und nutzen Sie die Möglichkeiten, die die Natur und der Naturraum Ihnen und den Kindern bietet!

Tipps für Ausflüge in die Natur und die regelmäßige Nutzung von Naturraum mit Kleinkindern

  • Auf eine passende Gruppengröße (je nach Entwicklungsstand der Kleinkinder) achten. 
  • Raus bei Wind und Wetter! 
  • So häufig wie möglich – so wird eine leichtere Verbindung zur Natur geschaffen. Das Draußen-Sein wird für Erwachsene wie Kinder selbstverständlich. 
  • Nahe Naturorte nutzen, um Müdigkeit vorzubeugen. Im Idealfall lässt sich der Weg auch für kurze Kinderbeine zu Fuß zurück zu legen. 
  • Der Weg ist das Ziel: Bereits die Strecke zum Ziel– und Naturort zum Entdecken nutzen. 
  • Feste Plätze mit begrenzten Bereichen bieten Orientierung und Sicherheit und damit gute Voraussetzung für das Kind, sich selbstwirksam zu erleben.  
  • Bei Ausflügen auf gleichbleibende Abläufe achten, möglichst verbunden mit Ritualen. 
  • Dem Wetter und der Jahreszeit angepasste Kleidung wählen!  
  • Material: Zeug zum Spielen statt Spielzeug. Dieses ist flexibel einsetzbar, fordert und bietet mehr Kreativität. 
  • Aufräumen ist auch für Kleinkinder wichtig! 

Weitere praktische Tipps gibt’s im Buch Krippenkinder als Naturentdecker, geschrieben von Nicole Hanckerschienen im Herder Verlag, Freiburg.

Literatur:
Brodbeck, E. (2008): Die Bedeutung von Naturerleben für Kinder. Verfügbar unter: https://www.kindergartenpaedagogik.de/fachartikel/bildungsbereiche-erziehungsfelder/naturwissenschaftliche-und-technische-bildung-umweltbildung/1740 (zuletzt aufgerufen am 18.9.2020). 

Hanck, N. (2019): Krippenkinder als Naturentdecker. Freiburg: Herder. 

Schäfer, G: E. (Hrsg.) (2011): Bildung beginnt mit der Geburt. Berlin: Cornelsen. 4. Auflage. S. 144 – 154. 

Textor, M. R. (2014): Ganzheitliche Entwicklungsförderung durch Naturerfahrungen. Verfügbar unter: https://www.kindergartenpaedagogik.de/fachartikel/bildungsbereiche-erziehungsfelder/naturwissenschaftliche-und-technische-bildung-umweltbildung/2314 (zuletzt aufgerufen am 18.9.2020). 

Mehr von Anja Burger

Spende für element-i Kinderhaus Bärcheninsel

Das element-i Kinderhaus Bärcheninsel hat vom neu erbauten Lidl in Stuttgart Dürrlewang eine Spende über 167 € erhalten. Die Kinder dürfen sich über neues Spielmaterial freuen.

Wie kam es dazu? Für die Stadterneuerung in Stuttgart Dürrlewang bekommt der Stadtteil Unterstützung durch das Projekt „Soziale Stadt – Investitionen im Quartier“. Dazu gehört neben der Umgestaltung des Dürrlewang-Parks auch die Sicherung des Nahversorgungsangebots. Zu diesem Zweck wurde letzten Monat ein neuer Lidl eröffnet.

Zum Dank hat Lidl an das Projekt „Soziale Stadt“ einen Betrag von 1000 € gespendet. Der Betrag wurde auf die dort ansässigen zwei Schulen und vier Kinderhäuser aufgeteilt. Damit gingen 167 € an das element-i Kinderhaus Bärcheninsel. Das Geld wird in den Bildungsbereich „Forschen und Entdecken“ investiert.

Konflikte im Kitaalltag

Den Ball hatte ich zuerst.“, „Lass mich in Ruhe!“ oder „Du bist nicht mehr mein Freund.“ – diese Sätze hören wir in unseren element-i Kinderhäusern fast täglich. In jeder Kindergruppe gibt es eben nicht nur das Miteinander, sondern auch das Neben- oder Gegeneinander. Es gilt immer wieder, seinen eigenen Platz zu finden (vgl. Gugel 2014, S. 209).

Dies ist mit viel Anstrengung verbunden – nicht nur für die Kinder und die Verantwortlichen des Bildungsbereiches Soziales Miteinander. Jede einzelne Fachkraft ist in der Begleitung dieser Konflikte täglich herausgefordert. 

Was sind Konflikte?

Der Terminus Konflikt kann weit gefasst werden und reicht von der Komplexität der Weltpolitiken bis zum kindlichen Streit um die Schaufel. Auch wenn es zahlreiche Unterschiede gibt, haben alle Konflikte die gleichen Grundstrukturen. Dabei muss ein Konflikt nicht unbedingt mit Streit oder Gewalt verbunden sein (vgl. Tries / Reinhardt 2008: S. 26). Ein interpersonaler Konflikt hat drei Bedingungen:

• Interdependenz der Akteure – mindestens zwei Personen oder Gruppen stehen sich in einem wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnis gegenüber.

• Zieldivergenz der Akteure – mindestens eine der beiden Parteien verfolgt ein Ziel, das mit dem Ziel des Gegenübers unvereinbar ist.

• Fehlende attraktive Alternative – die bestehende Beziehung zwischen den beiden Personen oder Gruppen zu verlassen ist für keine der Parteien eine attraktive Alternative (vgl. Tries / Reinhardt 2008: S. 30). Darüber hinaus gibt es intrapersonale Konflikte.

Was steckt hinter den Konflikten? Welches (Hintergrund-)Wissen braucht eine Fachkraft, um ihr pädagogisches Handeln passend zu wählen? Wie kann Kindern Konfliktfähigkeit vermittelt werden, sodass sie Konflikte allein lösen können, und in welchen Situationen muss durch die Fachkraft eingegriffen werden? All diese Fragen stellen sich und sollen im Folgenden beantwortet werden.

Professionelle Konfliktbegleitung in Kitas

Es ist eine Entwicklungsaufgabe für jedes Kind und eine pädagogische Herausforderung für seine Entwicklungsbegleiter/innen, die Besonderheiten von Konfliktanlässen zu verstehen und in weitere Handlungsplanungen einzubeziehen“ (Haug-Schnabel 2012, S. 10). 

In der Begleitung von Kinderkonflikten ist es stets ein Abwägen: Wann ist das Kind in der Situation physisch oder psychisch überfordert? Dies kann durch Beobachtung jedes einzelnen Kindes, seiner Themen und Interessen, sowie das Feststellen der Zone der nächsten Entwicklung gelingen. Es gilt unter anderem, den Entwicklungsprozess der emotionalen Kompetenz als Grundlage für Konfliktfähigkeit in den Blick zu nehmen. Die nebenstehende Tabelle fasst wesentliche Informationen zusammen. 

element-i Magazin Tabelle Konflikte

(vgl. Weltzien et al. 2016, S. 24f) 

Nur mit dem nötigen Fachwissen kann die Fachkraft im Alltag bewusst entscheiden, wie die zuvor gestellte Frage zu beantworten ist, welche Erwartung sie an das Kind richten und wie sie die optimale Balance zwischen Zutrauen und Unterstützung finden kann. Wenn ein Nest-Kind beispielsweise einem anderen etwas wegnimmt oder es beißt, geschieht das niemals, um dem anderen Schmerzen zuzufügen. Diesen Entwicklungsschritt hat es nämlich noch gar nicht vollzogen – es hat noch kein Empathievermögen. Auch die Aussagen: „Ist doch nicht so schlimm.“ oder „Hör auf zu weinen.“ sind sinnlos, wenn das einjährige Kind noch nicht über diese Fähigkeiten zur Selbststeuerung und Emotionsregulation verfügt.

Konfliktanlässe in den Blick nehmen 

Wie entstehen Konflikte?

Konflikte entstehen durch eine Mischung aus unterschiedlichsten Anlässen, wahrnehmbaren Verhaltensweisen und deren Interpretation durch das soziale Umfeld, welches davon betroffen ist Voraussetzungen, welche die Entstehung von Konflikten wahrscheinlich machen, sind:

• Konflikte durch Änderung der Person z.B.: Bedürfnisausformung oder Änderung kognitiv-emotionaler Strukturen

• Allokation knapper Ressourcen z.B.: Zielkonflikte oder Machtkonflikte • Veränderung externer Regeln

• (Inter-) kulturelle Konflikte • kognitiv-kommunikative Asynchronität z.B.: Missverständnisse (vgl. Tries / Reinhardt 2008: S. 33f)

Im Kita-Alltag zeigen sich unterschiedlichste KonfliktanlässeBesonders die Bedürfnisse von Kindern aufgrund ihres Entwicklungsstandes sind als Stressauslöser und Konfliktursache in den Blick zu nehmen. Vor allem das Beginnen des Ich-Bewusstseins im Alter von 18 bis 24 Monaten initiiert folgenreiche Entwicklungsschritte. Jetzt kann das Kind über sich als Handlungsakteur nachdenken. Dies fördert wiederum die Autonomie-Entwicklung: das Kind kann sich vor Handlungsbeginn ein Ziel vorstellen und hat demnach eine eigene Absicht bei seinem Tun. Das Kind muss die Möglichkeit haben, Dinge allein versuchen zu dürfen, denn das ist entscheidend für seine Persönlichkeitsentwicklung. Hieraus erwächst die Aufgabe für die pädagogische Fachkraft, jeden Tag aufs Neue abzuwägen, wann sie ein Kind gewähren lässt und wann es wiederum Anregungen von außen braucht (vgl. Haug-Schnabel 2012, S. 12). 

In den element-i Kinderhäusern können die Kinder durch die vorgegebene Tagesstruktur sowohl Freispiel- als auch Impulsphasen erleben. Doch gerade das strikte Einhalten von vorgegebener Struktur kann dazu führen, dass das Kind nicht selbst entscheiden, Verantwortung für sein Tun übernehmen kann und sich dadurch als selbstwirksam erlebt. Es gilt demnach sowohl im Übergang zur Kiko als auch anderen Mikrotransitionen im Alltag, sich selbst die Frage zu stellen: Inwieweit löse ich durch mein Handeln Konflikte aus und welche (Aus-)Wirkung haben diese? Wann muss ich eingreifen, und wann ist genau das störend? Müssen alle Kinder um kurz vor zehn ihr teilweise noch sehr intensives Spiel beenden, oder kann ich gemeinsam mit den Kindern Alternativen finden? Denn: Aushandlungsprozesse sind Lernprozesse (vgl. Haug-Schnabel 2012, S.13)! 

Konflikte können auch durch die Regeln von Fachkräften oder die vorgegebene Gruppenkonstellation, wie Kohorten-Einteilung, die Einteilung in Stamm- und Kita-Gruppe, entstehen. Diese können sogar spiel- und denkhemmend wirken (vgl. Haug-Schnabel 2012, S. 11). Diesen Aspekt gilt es als Fachkraft gemeinsam mit der Teamleitung zu reflektieren: Werden bei der Kohorten-Einteilung die Bedürfnisse der Kinder berücksichtigt? Welche Kinder brauchen wann welche pädagogische Fachkraft – zum Beispiel am Morgen, um gut in den Tag zu starten, oder zum Einschlafen? Haben die Kinder ausreichend Spielpartner*innen entsprechend ihres Entwicklungsstandes? Wann ist ein Kind bereit, in die Stamm- oder Kita-Gruppe zu gehen, und wie lässt sich ein guter Übergang (Transition) gestalten? 

Aber auch die Raumgestaltung inklusive Materialauswahl und die ggf. nicht vorhandene Wahlmöglichkeit des Kindes, in welchen Raum es wann gehen möchte, können Konfliktanlässe sein (vgl. Haug-Schnabel 2012, S. 11). Haben die Kinder stets die Möglichkeit, den Raum zu verlassen, oder zumindest einen Rückzugsbereich im Raum? Wieviel und welches Material wird zur Verfügung gestellt? Gibt es beispielsweise bewusst nur zwei Rutschautos, wodurch Konflikte entstehen, die anschließend durch die Fachkraft begleitet werden? Oder hemmt diese Entscheidung die motorische Entwicklung, weil das Kind nicht ausreichende Lernerfahrungen in der Zone der nächsten Entwicklung machen kann? 

Grundsätzlich gilt: eine Fachkraft muss in Konflikten – je nach Entwicklungsstand des Kindes – die sichtbaren Gefühle und Bedürfnisse verbalisieren, beide Sichtweisen einnehmen und darstellen können sowie die Betroffenen trösten und beruhigen (vgl. Haug-Schnabel 2012, S. 11). 

Bezug zu Bildungsbereichen 

Streithemen müssen nicht immer Konfliktursache sein, sie können auch Hinweise auf Interessen der Kinder geben. Allerdings bedeuten Konflikte immer ein Aufbau des sozialen Miteinanders (vgl. Gugel 2014, S. 209). Schlüsselthemen des Sozialen Miteinanders sind unter anderem: einander kennen lernen, die eigene Position finden, ändern oder festigen, Besitzerklärung, Regeln einfordern, testen, ändern oder erfinden. Zentrale Entwicklungsaufgabe von Kindern im Kindergartenalter ist der Aufbau von sozialem Bindungsverhalten und Kommunikationsfähigkeit. Eine große Rolle bei Kindern, deren Sprachfähigkeit noch nicht differenziert ausgebildet ist, spielen metaphorische Symbolik und Körpersprache (vgl. Gugel 2014, S. 209). Eine enge Verknüpfung besteht demnach zum Bildungsbereich Sprache. Denn Sprachfähigkeit ist gleichzeitig auch Konfliktfähigkeit. Je mehr Wörter mir zur Verfügung stehen, desto besser kann ich meine Absichten und Wünsche oder auch Ablehnung kommunizieren. Weiterhin lässt sich eine Verknüpfung zum Bildungsbereich Bewegung herstellen: Durch Bewegung haben die Kinder die Möglichkeit, ihre Affekte und Emotionen zu regulieren (vgl. Haug-Schnabel 2012, S. 11). 

Die Antworten auf alle gestellten Fragen gilt es in den element-i Bögen festzuhalten. Daraus wiederum ergibt sich, wie die Fachkraft pädagogisch handeln muss, um die sozial-emotionale Entwicklung der Kinder zu fördernKonflikte gut zu begleiten und ggf. hemmende Konfliktanlässe zu beseitigen: Eventuell braucht es mehr Rückzugsorte, öfter die Möglichkeit in die Natur zu gehen, sich dort zu bewegen oder zur Ruhe zu kommen, mehr oder bewusst weniger von einem bestimmten Material, den Austausch im Team zur flexiblen Gestaltung des Tagesablaufs oder zur Anpassung der Kohorten-Einteilung, um nur ein paar Impulse zu setzen. 

Buchtipps für die Praxis zur Konfliktbearbeitung mit Kindern

In der Broschüre „Konfliktlösungen in Bilderbüchern für Kinder im Kindergarten- und Vorschulalter“ aus dem Jahr 2018 finden Sie eine Übersicht über Bilderbücher zu unterschiedlichen Konfliktthemen und auch Konfliktlösungsstrategien, wie Konflikte zwischen Kindern, Ausgrenzung durch Anderssein, familiäre Konflikte, sich entschuldigen und vertragen oder das Gespräch suchen, um nur ein paar Beispiele zu nennen.  

Durch dialogische Bilderbuchbetrachtung können Kinder so Konflikte kennenlernen, aufdecken, bearbeiten oder / und vielfältige Lösungsstrategien kennenlernen (vgl. ajs 2018, S. 7). Den Link finden Sie im Literaturverzeichnis. 

Konfliktfähigkeit bei Kindern fördern

Um Kinder in ihrer Konfliktfähigkeit zu fördern, gilt es ihre Wahrnehmung zu sensibilisieren: sie müssen lernen, zwischen Absicht und Versehen zu unterscheiden, Handlungsabläufe differenziert zu erfassen, die eigenen Gefühle in der jeweiligen Situation zu erkennen und auch den damit verbundenen Handlungsimpuls wahrzunehmen – wobei Wahrnehmung immer interessengeleitet und demnach subjektiv ist. Wie bereits erwähnt, ist Kommunikationsfähigkeit ebenfalls eine Schlüsselkompetenz, um Konflikte eigenständig bearbeiten zu können (vgl. Gugel 2014, S. 215). 

Weiterhin müssen Kinder lernen, mit ihren eigenen, aber auch den Emotionen anderer umgehen zu können. Empathie und Mitgefühl empfinden zu können ist ein neuronaler Prozess. Dazu werden Gefühle rekonstruiert, die wir bei unserem Gegenüber wahrnehmen. Die sogenannten Spiegelneuronen, die dafür zuständig sind, sind menschliche Grundausstattung. Sie werden aber nur durch zwischenmenschliche Beziehungen aktiviert. Das bedeutet: nur wenn ein Kind selbst Wertschätzung erfährt, kann es andere wertschätzend behandeln. Auch verfügbare Coping-Strategien in Stresssituationen sind in Konflikten unentbehrlich. Wie kann ich mit schwierigen Gefühlen wie Trauer, Hass und Wut umgehen (vgl. Gugel 2014, S. 217)? 

Förderlich ist es auch, Lösungsschritte zu kennen. Das bedeutet den Kindern muss klar sein, welche einzelnen Schritte zur Lösung eines Konfliktes führen und was eine gute Lösung ist (vgl. Gugel 2014, S. 218). Dafür gibt es unterschiedliche Rituale, die eingeführt werden können: Mediation mit Kindern, das Palaverzelt oder auch auf die Kindergruppe angepasste bzw. mit ihr entwickelte, immer wiederkehrende Abläufe. 

Literatur:
Arbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz Hamburg e.V. (ajs) (2018): Konfliktlösungen in Bilderbüchern für Kinder im Kindergarten- und Vorschulalter. 5. Auflage. https://www.ajs-hamburg.de/images/KloG/pdfsundso/Konfliktloesungen.pdf (zuletzt aufgerufen am 18.9.2020) 

Gugel, G. (2014): Handbuch Gewaltprävention III. Für den Vorschulbereich und die Arbeit mit Kindern. Grundlagen – Lernfelder – Handlungsmöglichkeiten. Tübingen. 

Haug-Schnabel, G. (2012): Professionelle Beantwortung von Konfliktanlässen. Neue Konfliktbegleitung in Kitas. Theorie und Praxis in der Sozialpädagogik (TPS) 6, S. 10-13. 

Tries, J. / Reinhardt, R. (2008): Konflikt- und Verhandlungsmanagement. Konflikte konstruktiv nutzen. Berlin. Heidelberg. 

Weltzien, D. / Fröhlich-Gildhoff, K. / Rönnau-Böse, M. / Wünsche, M. (2016): Gefühl und Mitgefühl von Kindern begleiten und fördern. Eine Handreichung zur Umsetzung des Orientierungsplans für Kindertageseinrichtungen in Baden-Württemberg. Freiburg im Breisgau. 

Mehr von Denise Samuel

Wissen über mich: Die Entwicklung eines positiven Selbstkonzepts

Die Entwicklung eines positiven Selbstkonzepts ist ein wichtiges Erziehungs- und Bildungsziel, das sowohl im Orientierungsplan von Baden-Württemberg als auch in anderen Bildungsplänen aufgeführt ist. Da ein positives Selbstkonzept die Grundlage für eine gesunde Entwicklung bildet, lohnt es sich, sich dieses Thema einmal genauer anzuschauen.

Selbstkonzept im Sinne von Selbstbild

Das Selbstkonzept ist ein mentales Modell, das Vorstellungen, Einschätzungen, Fähigkeiten und Bewertungen der eigenen Person beinhaltet. Die Begriffe Selbstbild und Selbstkonzept werden oft synonym verwendet. Beide beziehen sich auf das Wissen, das ein Mensch von sich selbst hat. Das heißt, welches Bild er von seinen Wahrnehmungen, Empfindungen und seiner Existenz aufbaut. Dieses Selbstkonzept ist in ständiger Veränderung, da kontinuierlich Informationen durch die Beziehungen und die Erfahrungen mit anderen Menschen wahrgenommen und gesammelt werden.

Das Selbstkonzept beeinflusst die Entfaltung von Kompetenzen. Je nachdem welche Erfahrungen und Rückmeldungen eine Person aufgenommen hat, beeinflusst dies den weiteren Umgang mit den eigenen Kompetenzen. Erfährt man positive Resonanzen, motiviert dies, weiter an der Kompetenz dran zu bleiben und diese auszubauen. Bei Misserfolgen oder negativen Rückmeldungen, kann dies zu einem befangenen, zurückhaltenden Umgang mit jenen Kompetenzen führen. Im Selbstkonzept werden die Kompetenzen und Fähigkeiten abgespeichert. Da dies wiederum Auswirkungen auf den zukünftigen Umgang mit den eigenen Kompetenzen hat, kann man von einem wechselseitigen Zusammenspiel von Kompetenzen und Selbstkonzept sprechen.

Zusammenhang Selbstkonzept und Selbstwertgefühl

Die Differenzierung in kognitive und affektive Ebene veranschaulicht die Unterscheidung von Selbstkonzept und Selbstwertgefühl. Auf der kognitiven Ebene werden aus einzelnen Situationen Wahrnehmungen zur eigenen Person gesammelt und ein übergeordnetes (übersituatives) Selbstkonzept gebildet. Hier stellt sich die Frage: Wie sehe ich mich? Beispiele dafür sind: „Ich kann nicht gut malen“ oder „Andere Kinder mögen mich“.

Auf der affektiven Ebene bewerte ich einzelne Situationen und bilde mir daraus ein übersituatives Selbstwertgefühl. Die entscheidende Frage lautet hier: Wie geht es mir damit? Welche Gefühle habe ich? Beispiele dafür sind: „Es ist nicht schlimm, dass ich nicht gut malen kann“ oder „Ich bin stolz, wenn mich die anderen mögen“.

Das Selbstwertgefühl ist die Bewertung des Selbstbildes und kann großen Einfluss auf die Gedanken, die Stimmung und das (Lern-)Verhalten haben. Durch Handlungen und Erfahrungen erleben Personen ihre eigene Wirklichkeit und entwickeln ein Bild über die Möglichkeiten ihres eigenen Einflusses auf Dinge. Aus diesen Lernerfahrungen entwickeln sich dann Kontrollüberzeugungen. Beispiele dafür sind: „Wenn ich mich anstrenge, kann ich bessere Männchen malen“ oder „Egal was ich tue, ich kann einfach nicht besser malen“. (Frank 2013, S. 19)

Entwicklung des Selbstkonzepts

Vor allem durch Interaktionen mit seinen Bezugspersonen machen Säuglinge erste Erfahrungen über ihre Existenz. Sie erkennen, dass ein ICH existiert und sie von anderen Menschen abgegrenzt sind. Im ersten Lebensjahr erfahren Kinder durch ihre Eigenaktivität, dass sie etwas erzielen können und bekommen erste Kompetenzgefühle.

Mitte des zweiten Lebensjahres erkennen sich Kinder im Spiegel. Sie sprechen von sich als Person und benutzen mehr und mehr das Personalpronomen „ich“. Das ICH-Bewusstsein beginnt sich zu entwickeln. Zunehmend erkennen Kinder Kategorien und schreiben sich Kategorien wie „Kind“ oder „Mädchen“ zu. Im Laufe der Zeit zeigen Kinder eine weitere Komponente des Selbst: Sie suchen nach positiven Rückmeldungen zu ihrem Verhalten. Die Fähigkeit, sich selbst zu erkennen, ermöglicht es ihnen, auch andere nachzuahmen, was eine enorme Bedeutung für Lernprozesse hat.

Ab etwa 2,5 Jahren beginnen Kinder, sich selbst verbal und mit charakteristischen Merkmalen zu beschreiben. Sie greifen Aktivitäten auf („Ich kann rennen, malen, bauen …“) oder beziehen sich auf physische Attribute („Ich habe braune Haare.“) oder erläutern soziale Beziehungen („Ich habe einen großen Bruder.“) oder sprechen über psychologische Attribute („Ich mag gerne Nudeln.“). Diese Beschreibungen über die eigene Person können unrealistisch positiv sein („Ich kann Auto fahren.“), denn die Kinder können noch nicht zwischen ihrem Wunschbild (ideales Selbst) und dem Realbild (reales Selbst) unterscheiden.

Im 4. Lebensjahr nimmt die Entwicklung der Geschlechtsidentität einen großen Raum ein. Dreijährige können zwar schon sagen, ob sie ein Junge oder Mädchen sind, aber es dauert noch einige Zeit, bis sie verstehen, dass die Geschlechtsidentität ein Merkmal ist, das sich nicht mehr ändert.

Vorschulkinder denken, sie könnten alles erreichen, wenn sie sich ausreichend anstrengen und bemühen. Sie haben einen ausgeprägten Überoptimismus, der jedoch eine wichtige Funktion für Motivation und Neugier hat. Empfohlen wird, dem Überoptimismus auf keinen Fall mit Realismus entgegenzuwirken, sondern diese motivierte Grundhaltung als Chance für Lernprozesse zu sehen.

Selbstbeschreibungen von Kindern im frühen Schulalter sind noch weitestgehend positiv, können aber nun mit anderen Attributen verbunden bzw. in übergeordneten Kategorien eingeordnet werden: Einzelne Tätigkeiten (lesen, schreiben, turnen) werden geschildert und anschließend zusammengefasst („Ich bin gut in der Schule.“).

Im Verlauf der weiteren Entwicklung können Kinder sich von Einzelbeschreibungen lösen und allgemeinere, abstraktere Beschreibungen äußern („Wenn ich mit meinen Freunden zusammen bin, fühle ich mich gut.“). Außerdem können negative und positive Emotionen miteinander kombiniert werden. Zunehmend vergleichen sich Kinder mit anderen Kindern – in der Schule und in allen Situationen des Alltags. Hierdurch entwickelt sich eine realistischere Einschätzung der eigenen Fähigkeiten.

Fazit: im Kindergartenalter zwischen 3 und 6 Jahren ist noch kein stabiles Selbstkonzept vorhanden. Selbstkonzept und Selbstwertgefühl generieren sich jedoch im Kindergarten- und Grundschulalter. Die Erfahrungen, die Kinder in dieser Zeit machen, sind sehr bedeutsam für ihre Identitätsentwicklung.

Unterstützung von positiven Selbstkonzepten!

Im Alltag erhalten Kinder über ihr Umfeld vielfältige Rückmeldungen zu ihrer Person und ihrem Verhalten, sowohl in Interaktionen durch Sprache, aber auch durch nonverbale Verhaltensweisen. Wenn man sich nun überlegt, dass alles, was Kinder täglich über sich aufschnappen, das Selbstkonzept beeinflusst, gibt dies Anlass zur Reflektion. Es gilt, die Stärken zu stärken!

Kinder brauchen Möglichkeiten, um sich auszuprobieren, die eigenen Kompetenzen kennenzulernen, Körpererfahrungen zu machen. Rückmeldungen aus dem Umfeld helfen dabei, die eigenen Kompetenzen einzuordnen. Vielfältige und differenzierte Rückmeldungen zu Handlungen, Fähigkeiten und Verhaltensweisen zu geben, ist eine wesentliche Aufgabe der Bezugspersonen. Für die Reflexion der eigenen Aussagen sind die folgenden Fragen hilfreich:

  • Formuliere ich die positive Bestärkung differenziert bzw. neutral: z. B. „Du hast sehr genau ausgeschnitten“ anstatt „Das hast du gut gemacht!“
  • Könnten meine Aussagen missverständlich sein?
  • Nutze ich ironische Aussagen, die die Kinder nicht verstehen und „falsch“ verinnerlichen? (z. B. „Na toll!“, wenn ein Teller zu Bruch geht und man angestrengt oder genervt ist; oder „Echt witzig!“, wenn ein Spaß nicht als solcher bewertet wird)
  • Spreche ich wertend (positiv und negativ) über andere Personen in Gegenwart von Kindern?

Es ist zudem zwingend notwendig zu überlegen, welche Einstellungen und Überzeugungen man hat und wie man diese Überzeugungen, bewusst oder auch unbewusst, weitergibt. Beispiele dafür sind: „Musikalische Begabung hat man oder hat man nicht!“, „Das ist bei Mädchen immer so!“, „Es war Glück, dass dies gelungen ist!“, „Durch Üben kann ich besser werden!“ (Frank 2013, S. 21ff.).

Idee für die Kita-Praxis

Der folgende Vers eignet sich sehr gut, um Eigenschaften, Fähigkeiten und Gefühle pantomimisch und kreativ darzustellen. Dabei haben Kinder Freude und fühlen sich bestärkt.

Ich bin toll, so wie ich bin!
Ich bin ein ganz besonderes Kind.
Ich fühl mich gut
und ich hab Mut.
Ich habe Augen, Nase, Mund,
ich fühl mich heute kerngesund.
Ich kann mit meinen Augen sehen,
mit den Ohren gut verstehen.
Ich kann mit meinem Mund laut lachen,
schmecke viele leckere Sachen.
Ich kann mit meiner Nase riechen.
Ich kann in der Blumenwiese liegen.
Ich kann auf einem Beine stehen.
Ich kann mich im Kreis herum drehen.
Ich kann mit den Händen klatschen
und im Sand herummatschen.
Ich bin toll, so wie ich bin.
Ich bin ein ganz besonderes Kind.

(Wagner 2018, S. 47)

Um das Selbstkonzept von Kindern zu stärken, lohnt es sich, bewusst auf die eigenen Aussagen zu achten! Dieser Beitrag mag Ihnen Anregungen dazu liefern, wo und wie Sie mit und über Kinder sprechen!

Literatur:
Frank, Angela (2013): Sozial-emotionale Entwicklung und ihre Förderung. In: Kindergarten Heute – Wissen kompakt: Kinder in ihrer sozial-emotionalen Entwicklung fördern. Freiburg, S. 18-24.

Haug-Schnabel, Gabriele; Bensel, Joachim (2017): Grundlagen der Entwicklungspsychologie. Die ersten 10 Lebensjahre. Freiburg

Oerter, Rolf; Montada, Leo (2008) (Hrsg.): Entwicklungspsychologie. Weinheim, Basel

Wagner, Martina (2018): Spielideen für ein positives Körpergefühl. Aachen

Mehr von Katja Behres

Zeitorientierung (Teil 2): Das Marshmallow-Experiment

Im ersten Teil wurde die Thematik „Zeitperspektive“ aufgegriffen. Nach Zimbardo und Boyd, die knapp 30 Jahre zu diesem Thema forschten und weiterhin forschen, unterscheidet man zwischen sechs Perspektiven. 

Die Zeit ist ein Medium, welches meist nur in ganz expliziten, besonderen Momenten wahrgenommen wird. Im Stau oder bei einem langweiligen Vortrag scheint jede Sekunde eine Ewigkeit zu dauern. Dagegen sind Momente, welche wir positiv in Erinnerung behalten haben, gefühlt in Sekundenschnelle vergangen: die Hochzeit, das Aufwachsen der Kinder, ein Workflow, Hobbys, Urlaub. Spricht man über Zeitperspektiven, spricht man gleichzeitig über eine Lebenseinstellung, ja, vielleicht sogar einer Lebensphilosophie. 

Menschen, die aus der „positiven Vergangenheit“ zehrenhaben gelernt, die Vergangenheit aus einem bestimmten Blickwinkel zu sehen und die Vergangenheit anzuerkennen als das, was sie ist: vergangen. Aus dieser Perspektive heraus werden Fehler zu Chancen, Fehltritte zu Erfahrung, Streit zu Beziehung. Diese Zeitperspektive hat nichts Endgültiges und bietet stets die Erweiterung des eigenen Horizonts. Eine für mein Empfinden sehr energetische Perspektive. An dieser Stelle könnten wir einen kleinen Blick in die element-i Konzeption wagen. 

Um sein Leben sinnvoll und stimmig in einer Gesellschaft, die sich nicht in individualisierter Beliebigkeit auflöst, gestalten zu können, braucht es die Fähigkeit, für sich einzustehen, die Folgen seiner Entscheidungen für sich und andere mitzudenken und aktiv zu bejahen und umzusetzen. Damit eng verbunden ist auch die Notwendigkeit, immer wieder Unsicherheiten auszuhalten und/ oder sich neu auszurichten, an Veränderungen anzupassen und geistig in Bewegung zu bleiben. „Echte“ Freiheit ist eine individuelle Verantwortung und anspruchsvolle Aufgabe, die stetig die Mobilisierung innerer Kräfte erfordert“. (Auszug aus der element-i Konzeption)

Wie bereits erwähnt, ist die vergangene Zeit durch nichts aufzuholen. Was bedeutet diese Perspektive also für die Zukunft? Was bedeutet die Zeitperspektive für künftige Entscheidungen, die wir treffen? Diese Fragen lasse ich gerne unbeantwortet und überlasse es Ihnen, sich diesem Gedankenkonstrukt anzunehmen und möglicherweise das ein oder andere Lebensszenario gedanklich durchzuspielen. 

Das Marshmallow-Experiment

Das Experiment ist denkbar einfach: Den Kindern wird ein Marshmallow angeboten und ihnen wird gesagt, dass sie die Möglichkeit haben, diesen direkt zu essen oder zu warten, dann bekommen sie einen zweiten. Es gibt an dieser Stelle kein gut oder schlecht. Dieses Experiment stammt aus den 1960er Jahren und wurde ursprünglich von Walter Mischel durchgeführt. Proband*innen waren Kinder im Alter zwischen 4-6 Jahren. Interessanter als das eigentliche Experiment ist der Werdegang der Kinder. Es wurde statistisch ermittelt, dass jene Kinder, die auf den zweiten Marshmallow warten konnten, im weiteren Lebensverlauf auf verschiedenen Ebenen signifikant erfolgreicher waren (Mischel, 2014)Wie kommt das? 

Die Kinder waren bereits in der Lage, aus einer Zukunftsperspektive heraus zu agieren, abzuwägen und für sich die Entscheidung zu treffen, zu warten, um dann den doppelten Gewinn zu generieren. Die Opportunitätskosten sind an dieser Stelle „Zeit“. Für einen Hedonisten wäre es an dieser Stelle keine Option, auf ein zweites Marshmallow zu wartenwenn der sofortige Genuss so nah ist. Oder anders formuliert: „Warum warten, wenn ich schon jetzt das haben kann, was ich eigentlich will? 

Unser Auftrag an dieser Stelle kann sein, den Kindern unsere kognitiven Möglichkeiten zur Verfügung zu stellen, um mit ihnen in einen Diskurs darüber zu gehen, welche Entscheidungsmöglichkeiten es gibt und was dies, auch in Bezug auf Zeitperspektiven, in der Konsequenz bedeutet. Ganz gleich, welche Zeitperspektive eigenommen wird, je nachdem, welcher Zeitperspektive gefolgt wird, entwickelt sich eine Einstellung im Hinblick auf das eigene Leben. Und das ist es doch, was wir erreichen möchten. Dass die Kinder „Ja!“ und „Nein!“ sagen und lernen, voller Überzeugung und Selbstverständnis. Schreiben Sie mir Ihre Gedanken und Rückfragen zum Thema gerne in die Kommentare. Fortsetzung folgt… 

Literatur:
Mischel, Walter (2014): The Marshmallow Test Matering self-control. Abrufbar unter:

http://cimbaitaly.com/wp-content/uploads/sites/6/2015/03/book_club_october14.pdf (zuletzt aufgerufen am 28.6.2020) 

Mehr von Benjamin Decker

Neuer „alter“ Fokus für Kitas: Naturpädagogik

Gehe ich an einem Montag in eine Kindertageseinrichtung, kommt es immer wieder vor, dass mir Kolleg*innen Folgendes berichten: Am Verhalten der Kinder könne man erkennen, dass sie das Wochenende nur zu Hause und viel Zeit vor dem Fernsehen verbracht hätten. Die Kinder seien unruhiger, lauter und hätten einen erkennbar größeren Bewegungsdrang als an anderen Wochentagen. Entsprechend dem Verhalten und den Bedürfnissen der Kinder würde sich der Tagesablauf montags anders gestalten. Wenn ich diese Schilderungen weiterdenke, stelle ich mir eine Frage: Ist es nur der Montag, den wir verändern müssen?

Mediennutzung und motorische Fähigkeiten

Um diese Frage zu beantworten, habe ich mir die Mediennutzung und die motorische Entwicklung von Kindern etwas näher angeschaut. Kinder verbringen laut der Studie miniKIM viel Zeit mit digitalen Medien. Im Jahr 2014 verbrachten Kinder im Alter von zwei und drei Jahren bereits 34 Minuten und Kinder zwischen vier und fünf Jahren 52 Minuten täglich vor dem Fernseher – nicht einberechnet sind hier weitere digitale Endgeräte und passives Fernsehschauen (Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest 2014, S. 31). Zum Vergleich: bereits in diesem Alter ist die vor dem Fernseher verbrachte Zeit minimal höher als die Zeit, die ein Kind täglich mit Bilderbuchbetrachtungen verbringt. Bestätigung für die geschilderte Beobachtung von Pädagog*innen konnte ich ebenso finden. Im Vergleich der Wochentage verbringen Kinder am Sonntag die meiste Zeit mit und vor digitalen Medien (Feierabend/ Scolari 2019, S. 157).

Bezüglich der motorischen Entwicklung von Kindern beschreiben Studien, dass die motorischen Fähigkeiten im Vergleich zu früheren Generationen rückläufig sind. Ein Grund könnte sein, dass Kinder sich durch die gesteigerte Mediennutzung und die zunehmenden Einschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit weniger bewegen und zudem die motorischen Herausforderungen abnehmen. Die Kinder leben in einer zunehmend „geschützten“ und „sicheren“ Umwelt. „Für Kindergartenkinder soll insgesamt eine Bewegungszeit von 180 Minuten/Tag und mehr erreicht werden, die aus angeleiteter und nichtangeleiteter Bewegung bestehen kann“ (Schwarz 2020, S. 353). Was denken Sie: Wie viele Kinder aus Ihren Einrichtungen erreichen diese 180 Minuten je Tag?

Beschäftigungen von Kindern am Nachmittag

Kindheit passt sich immer entsprechend der Lebensumstände, die den Kindern von den Erwachsenen gegeben werden, an. Dies hat unterschiedliche Auswirkungen auf die Erfahrungen, die Kinder sammeln. Nachvollziehbar wird dies, wenn wir die Kindheit heute mit unserer eigenen Kindheit vergleichen. Wie sind Sie selbst aufgewachsen? Wie haben Sie die Zeit in Ihrer Kindheit verbracht? Wie viel Stunden pro Tag waren Sie selbst in der Kita und wie haben Sie den Tag dort verbracht?

Haben wir früher noch die meiste Zeit am Nachmittag im Freien in selbstorganisierten Gruppen verbracht und die Nachbarschaft (vor allem ohne Beaufsichtigung durch Erwachsene) erkundet, schauen Kinder heute auf einen vollen, von den Eltern für sie strukturierten Stundenplan. Kinder halten sich heutzutage häufiger drinnen auf als früher (Renz-Polster/Hüther 2019, 100). War der Kindergarten früher – vereinfacht gesagt – zum „Basteln“ gedacht, da die notwendigen Materialien zu Hause nicht vorhanden waren und Eltern diesem Bildungsfeld wenig nachgekommen sind, erledigen Eltern heutzutage diese Aufgabe selbst. Oder sie organisieren ein zusätzliches Bildungsangebot am Nachmittag. Welche Schlüsse können wir aus diesen Veränderungen der Kindheit im Zusammenhang mit Mediennutzung und motorischer Entwicklung von Kindern ziehen?

Um auf meinen Anfangsgedanken zurück zu kommen: Es ist keineswegs nur der Montag, den wir – entsprechend den Bedürfnissen der Kinder und einer veränderten Kindheit – anpassen sollten. Es bleibt uns beinahe keine andere Wahl, als mit Kindern und für sie mehr „Wege ins Freie“ zu finden. Dies wird auch in der element-i Konzeption beschrieben: „Gerade in den zumeist städtischen Lagen der element-i Kinderhäuser ist es uns ein wichtiges Anliegen, Natur auch innerhalb der Einrichtung erfahr- und erlebbar zu machen. Der Aufenthalt im Freien bietet vielfältige Erfahrungs- und Entwicklungsmöglichkeiten, fördert Bewegung, Umweltverständnis und Naturverbundenheit und stärkt das Immunsystem und damit insgesamt die physische und psychische Gesundheit der Kinder“ (Kammerlander/Rehn 2018, S. 18).

Naturpädagogik und Schulfähigkeit

Nun werden Kritiker*innen vielleicht äußern, dass Kinder, die viel Kita-Zeit im Freien verbringen, nicht genügend auf die Schule vorbereitet würden. Dazu hat Häfner im Jahr 2002 eine entsprechende Studie durchgeführt. Er befragte Lehrer*innen und bat sie, Kinder, die eine Waldkita besucht haben, mit denen, die eine Regel-Kita besucht haben, zu vergleichen. Die Ergebnisse, die er beschreibt, sind eindeutig. Kinder, die einen Waldkindergarten besucht haben, werden von Lehrer*innen bei der Einschulung als leistungsfähiger beschrieben als die Vergleichsgruppen aus Regelkindergärten. Sie könnten länger sitzen, sich besser konzentrieren und zeigen im sozialen Verhalten eine höhere Kompetenz (Häfner 2002). Die Studie legt den Schluss sehr nahe, dass wir uns wenig Sorgen um die Schulfähigkeit der Kinder machen müssen, wenn wir ihnen mehr Erfahrungen im Freien ermöglichen.

Das Fazit meines Artikels liegt klar auf der Hand. Ich gehe sogar davon aus, dass sie die Antwort beim Lesen der ersten Zeilen dieses Artikels bereits kannten: Wir müssen mehr mit den Kindern nach draußen gehen. Und es bleibt nur eine einzige Frage offen. Warum tun wir es nicht? Dazu möchte ich einen nachdenklich machenden Gedanken zitieren, dessen provozierende Aussage Sie selbst für sich prüfen können: „Warum unsere Kinder nicht mehr draußen sind, hat tiefere Gründe – und sie haben etwas mit uns selbst zu tun. Mit uns Großen“ (Renz-Polster/ Hüther 2019, S. 96).

Ich freue mich über Ihre Kommentare, Gedanken und Antworten zu meinen Fragen.

Mehr von Lisa Reuß

Zeitorientierung (Teil 1): Das Samariter-Experiment

Jeder kennt das berühmte Zitat des Präsidenten Benjamin Franklin: „Zeit ist Geld“. Dem ist leider nicht so, „denn wenn Zeit verstrichen ist, so ist sie auf ewig verschwunden“ (Philip Zimbardo, John Boyd 2008), demzufolge ist Zeit um den Faktor x höher einzustufen als Geld. Gerade in Zeiten wie diesen, ist Zeit zu einem sehr kostbaren Gut geworden. Doch diese Ausnahmesituation kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass jeder Einzelne von uns, ob bewusst oder unbewusst, Zeitperspektiven einnimmt. Man unterscheidet zwischen sechs Zeitperspektiven:

  • Positive Vergangenheit
  • Negative Vergangenheit
  • Hedonistische Gegenwart
  • Fatalistische Gegenwart
  • Zukunft
  • Transzendentale Zukunft

Das Samariter-Experiment

Gerne möchte ich mit einem Experiment aus dem Jahr 1977, welches die Sozialpsychologen John Darley und Dan Batson durchgeführt haben, in dieses doch komplexe und spannende Thema einsteigen. Bei dem sogenannten „Samariter-Experiment“ ging es um Theologiestudenten, welche sich auf einen Vortrag vorbereiteten (Thema: Die Parabel vom barmherzigen Samariter). Dieser Vortrag sollte von Seminarleitern beurteilt werden.
Als die Vorbereitungen des Vortrags fertiggestellt waren, wurde einzelnen Theologiestudenten eröffnet, dass man bereits warte und der Vortrag direkt erfolgen soll. Die Studenten sollten sich direkt auf den Weg machen, zu jenem Ort, an welchem der Vortrag stattfinden soll.
Wiederum anderen Studenten wurde gesagt, dass sie noch reichlich Zeit haben, bis der Vortrag beginnt. Sie sollten sich ebenfalls auf den Weg machen.
Es wurde demnach bewusst Zeitdruck auf einzelne Studenten ausgeübt, um deren Zeitperspektive und das daraus resultierende Verhalten zu analysieren. Was genau wurde analysiert? Nun, auf dem Weg zum Vortrag begegneten sie einem hilfebedürftigen Herrn, der zweifellos in großer Not war. Die Studenten wussten nicht, dass dieser Mann Teil des Experiments war. Wie würden ein barmherziger Samariter bzw. ein Theologiestudent, welcher darüber referieren soll, agieren?
Jene Studenten, die „gefühlt“ reichlich Zeit hatten, haben, wie es sich für einen guten Samariter gehört, geholfen. Die Mehrzahl der Studenten, die „gefühlt“ unter Zeitdruck standen, halfen nicht (90%), obwohl ausnahmslos alle Studenten den bedürftigen Mann wahrgenommen haben.
Es handelt sich bei allen Studenten um Menschen, die einen Beruf erlernen möchten, bei welchem sie aktiv helfen und das Leid anderer Menschen lindern möchten, doch in dieser Situation nahmen sie die Zeitperspektive der „Zukunft“ ein und waren auf einen Vortrag fokussiert und schlichtweg blockiert. Das macht sie nicht zu schlechteren Menschen, insbesondere wenn man das Bewusstsein von Zeitperspektiven hat, ist man in der Lage zwischen Entscheidungen abzuwägen.

Was haben die Zeitperspektiven mit Konzept-e zu tun?

Aktuell wird deutschlandweit darüber gesprochen, wann wie viele Kinder wieder in der Kita betreut werden sollen. Wir haben uns bewusst und aktiv für einen Weg entschieden, der es allen Kindern ermöglicht, möglichst häufig ihre Freunde zu sehen. Warum? Die Kinder sind Vollbluthedonisten. Sie leben im Jetzt und Hier, in ihrer Emotion und voller Lebensfreude und Energie. Bedenkt man die Meilensteine, welche Kinder in den ersten sechs Lebensjahren durchlaufen, so gibt es wohl nichts Wichtigeres, als diese kostbare Zeit vollends auszukosten und die Kinder Kinder sein zu lassen. Den Kindern ist es erst später möglich, Perspektiventscheidungen zu treffen. #Marshmallowexperiment

An dieser Stelle kommen wir Erwachsenen ins Spiel und müssen unserer Verantwortung bewusst sein, denn die Zeitperspektiven können von uns gesteuert und demnach auch vorgelebt werden, sie können gelernt und verlernt werden. Wie einst Albert Einstein gesagt hat: Die Zeit ist relativ. Ein kurzer Moment kann einem alles bedeuten und innerhalb kürzester Zeit kann alles vorbei sein. Daher werde ich in Teil 2 des Artikels auf die einzelnen Zeitperspektiven eingehen und diese mit den Leitgedanken der element-i Pädagogik verknüpfen.

Kein Mann steigt jemals zweimal in denselben Fluss, denn es ist nicht mehr derselbe Fluss und es ist nicht mehr derselbe Mann. – Heraklit

Schreiben Sie mir gerne Ihre Gedanken und Rückfragen zum Thema in die Kommentare.

Mehr von Benjamin Decker

Bewegung und Sport in der Kohorte  

Unter Pandemiebedingungen erfährt auch der Bildungsbereich Bewegung und Sport eine spürbare Veränderung. Denn die Turn- und Bewegungsräume in den Einrichtungen sind nicht mehr zu jeder Zeit für Kinder bespiel- oder benutzbar. So ist es die Aufgabe der beteiligten Fachkräfte, den dadurch entfallenden Rahmen in anderer Form für die Kinder bereitzustellen. Doch was macht diesen Rahmen aus? 

Kinder in element-i-Kinderhäusern schätzen und nutzen die Möglichkeiten, die Bewegungsräume des Kinderhauses frei, flexibel und kreativ im Tagesgeschehen nutzen zu können. Die freie Gestaltung oder der Um- bzw. Abbau von Bewegungsbaustellen und die stets vorhandene Möglichkeit, die eigene Körperkraft und Energie in vielfältigen Spielsituationen einsetzen zu können, bietet den Kindern vielfältige Berührungspunkte mit der Leitlinie Autonomie. Fest mit diesem Rahmen verbunden ist damit auch die stetige Partizipation der Kinder am Alltagsgeschehen in den Bewegungsräumen der Kinderhäuser. Umspannt und getragen wird die gesamte Thematik wiederum von der Leitlinie Gesundheit, die Ausgangspunkt und zugleich Fundament für den Bildungsbereich Bewegung und Sport ist.  

Da fest installierte oder größere und mobile Bewegungsmaterialien nicht dauerhaft durch die Einrichtung wandern können, rücken Bewegungsbaustellen und Bewegungsmaterialien mit Alltagsgegenständen verstärkt in den Fokus.  

Für die verschiedenen Altersgruppen in den Kinderhäusern bedeutet dies, dass sich die Anforderungen an den Umgang mit dem Bildungsbereich Bewegung & Sport Stück für Stück verändern. Neben der Frage, wie Bewegung in Kohorten-Räumen umgesetzt werden kann, stellt sich noch eine weitere Frage: Wie erhalten alle Kinder die Möglichkeit, adäquate und umfassende Bewegungserfahrungen machen zu können – Bewegungserfahrungen, die gleichzeitig die oben beschriebenen Aspekte von Autonomie und Partizipation aufgreifen. Welche Möglichkeiten gibt es, wenn man sich dem Thema aus praktischer Sicht nähert? 

Für die Kleinsten in den Kinderhäusern  

Mit der Fähigkeit zu sitzen, zu krabbeln und sich hochzuziehen, steigt die Mobilität der Kinder und die räumliche Wahrnehmung der Kinder verändert sich. Dies ist besonders der Entwicklung der Augen-Mund-HandKoordination anzumerken. Kinder in den Nestern wollen sich bewegen und die Räumlichkeiten explorativ erkunden. So werden Kinder zu beobachten sein, die sich intensiv mit Greifen, Aufheben und wieder Los- bzw. Fallenlassen beschäftigen. Besonders hervorzuheben ist, dass sich die Bewegungsformen innerhalb dieser Phase vom aktiven Wiederholen des Tuns hin zu bewusst entschiedenem Tun verändern. Das eigene Tun wird damit Mittel zum Zweck. Gleichzeitig startet in dieser Lebensphase die intensive Entwicklung der kindlichen Feinmotorik.  

Diese Entwicklungsschritte berücksichtigend, lassen sich vielfältige Materialien finden, die erstens in ausreichender Menge bereitgestellt werden und zweitens Bewegung innerhalb der räumlichen Gruppenbezüge ermöglichen: 

  • „Haushaltsgegenstände: Töpfe, Schüsseln, Becher, Löffel, Schneebesen, Salatschleuder, alte Kaffeemühle mit Kurbel 
  • Ausrangierte Alltagsgegenstände: Fahrradschlösser mit Schlüssel, Telefone, Computertastatur, Handtaschen, Hüte 
  • Alltagsmaterialien: verschieden große Pappschachteln, Kästchen mit und ohne Deckel, Eierkartons, Plastikflaschen und Dosen mit Schraubverschlüssen, Joghurtbecher. Papprollen, Pappuntersetzer, Gardinenringe, Wäscheklammern, Teppichfliesen, Kissen, Decken, Tische, Stühle, Matratzen 
  • Naturmaterialien: Zweige, Stöcke, Moos, Baumscheiben, Steine, Muscheln, Kastanien, Blätter, Tannenzapfen, Sand, Wasser, Matsch (Cantzler 2011, S. 8) 

Für Kinder im altersgemischten Bereich

Für diese Kinder braucht es den Einbezug eines weiteren kindlichen Entwicklungsschrittes in der Gestaltung von Bewegungsangebote. Die Kinder beginnen nun, Gegenstände und Materialien symbolhaft in ihr Spiel einzubauen. Dies lässt sich unter anderem auch in der Gestaltung von Bewegungsbaustellen und Bewegungsspielen beobachten. Die Geschichte um das Material wird so für die Kinder von immer größerer Bedeutung. Es geht vor allen Dingen darum, den Bewegungsraum so zu gestalten, dass ein Bezug zu den Lebenswelten der Kinder hergestellt werden kann. Aus einem element-i-Kinderhaus erreichte mich ein beispielhafter Bericht, der dieses Thema veranschaulicht 

Nach dem Wochenende berichtete ein Kind von einem spannenden Ausflug in einen Minigolfpark. Eine Gruppe von Kindern war höchst interessiert und engagierte sich für die Idee, einen Minigolf-Parcours in der Kita aufzubauen. Der Bewegungsraum wäre der ideale Ort für das Vorhaben gewesen, doch der stand der Gruppe in Pandemiezeiten nicht zur Verfügung. Da war guter Rat teuer. Doch die Kinder hatten im Nu eine Alternative gefunden: Warum sollte man das Geschehen nicht in den Gruppenraum verlegen? In intensiver Auseinandersetzung mit der Thematik entstand so im Gruppenraum ein kreativer Parcours, der mehrere Bahnen abbildete und der ausschließlich aus zur Verfügung stehenden Alltagsgegenständen bestand. So wurden Tische und Stühle, Materialien aus den Bereichen Konstruktion und Mechanik, Rollenspiel oder auch Forschen und Entdecken in diesen Parcours mit eingebaut: 

  • aus dem Bauzimmer: Zugschienen, Kapplasteine, große Holzkötze, Papprohre  
  • aus dem Rollenspiel: ein Hut als Hole, ein Koffer als Hindernis, Schuhe als Pylonenersatz  
  • aus dem Bereich Forschen und Entdecken: Schüttwanne als “Schlucht”, Lupenglas als Ziel 
  • aus dem Bereich Bewegung: Gymnastikmatten, Hütchen, Reifen, Ringe, Bänke (Turnbänke oder Heizkörper verdeckende Bänke), Pedalo  

So entstanden verschiedene Schwierigkeitsgrade. Als Golfschläger dienten Kegel, Stäbe, lange Holzbausteine und sogar eine Suppenkelle. Die Kinder gestalteten Golfbälle aus Papierkugeln oder nutzten Tennis- oder Tischtennisbälle sowie Murmeln 

Die so entstandenen Bahnen deckten verschiedenste Themenfelder aus dem Bildungsbereich Bewegung und Sport ab; das sind Feinmotorik, Grobmotorik, Auge-Hand-Koordination, Auge-Fuß-Koordination, Antizipation, Krafteinsatz des eigenen Körpers. Darüber hinaus lassen sich Verknüpfungen zu den Bildungsbereichen Sprache, Kreativität und Ästhetik, Forschen und Entdecken oder auch Bauen und Konstruieren herstellen. Bewegungsbaustellen dieser oder vergleichbarer Art lassen sich leicht umsetzen und geben den Kindern auch unter Pandemiebedingungen vielfältige Erfahrungen im Bildungsbereich.  

Lassen Sie sich vom Minigolf-Parcours inspirieren und suchen Sie nach Themen, die eine inhaltliche Umsetzung in Ihren Einrichtungen anbietet. Die Kinder sind begeistert dabei und erleben spannende Momente im Alltag, die nachhaltiges Lernen ermöglichen 

Quellen:
Cantzler, Anja (2011): Exploration mit Alltagsgegenständen und Naturmaterialien. Abrufbar unter: https://www.kita-fachtexte.de/fileadmin/Redaktion/Publikationen/FT_cantzler_2011.pdf (letzter Zugriff 23.7.2020)
Röthig, Peter; Prohl, Robert (2003): Sportwissenschaftliches Lexikon. 7. Auflage. Hofmann-Verlag: Schorndorf

Mehr von Jacob Hesselschwerdt