Mathematik – mehr als eins, zwei, drei

Mathematik begegnet dem Menschen im alltäglichen Leben: beim Bezahlen an der Kasse beim Bäcker, beim Abmessen von Zutaten zum Kochen, im Straßenverkehr durch verschiedene Symbole, bei der Nutzung von Handys und Fernbedienungen. Selbst in der Natur beschreiben wir beispielsweise Formen von Blättern oder Pflanzen mit mathematischen (geometrischen) Begriffen. Forschen Sie doch selbst mal nach, wo Ihnen in Ihrem Alltag mathematische Inhalte begegnen!

Wann beginnt mathematisches Verständnis?

Nun haben die Kindertageseinrichtungen in Deutschland einen Bildungsauftrag, der anhand von Leitgedanken und -zielen in den verschiedenen Bildungsplänen der Bundesländer Ausdruck erhält. Was oft aber fehlt, ist die Kenntnis über die Entwicklung eines mathematischen Verständnisses. Wie bauen sich entsprechende Kompetenzen auf? In der Forschungsliteratur werden den einzelnen Abfolgen des mathematischen Kompetenzerwerbs verschiedene Namen und Schwerpunkte gegeben. Daher soll nun nur ein verallgemeinerter Abriss des mathematischen Kompetenzerwerbs gegeben werden.

Der Erwerb numerischer Kompetenzen vollzieht sich zusammen mit dem Beginn des Lebens eines Menschen. Wie entwicklungspsychologische Forschungen gezeigt haben, besitzen bereits Säuglinge mentale Vorstellungen von Mengen. Bereits kurz nach der Geburt sind Säuglinge in der Lage, Mengen von maximal vier Elementen miteinander zu vergleichen. Mit vier Monaten zeigen sie Verwunderung, wenn sie nach einem gewohnten Bild mit acht Punkten plötzlich eines mit sechzehn Punkten gezeigt bekommen. Zwar können sie hierbei noch nicht die konkrete Anzahl abschätzen, jedoch scheint ihnen der Mengenunterschied aufzufallen, vermutlich auf Grundlage der Gesamtausdehnung der Elemente. Dies gelingt auch nur, wenn die Anzahl möglichst klein ist und der Mengenunterschied in einem bestimmten Verhältnis präsentiert wird. Schon Säuglinge scheinen also über ein angeborenes System für Nummerositäten zu verfügen. Dieser natürliche Mengensinn stellt eine bedeutende Grundlage für das spätere Verstehen der Begrifflichkeiten des Vergleichens (mehr, weniger) dar und ist somit gleichzeitig Basis für zukünftige Rechenoperationen. Gleichzeitig ist die Forschung uneins darüber, ob diese Kompetenzen eher den ersten mathematischen oder visuellen Fähigkeiten zuzuordnen sind.

Gegen Ende des ersten Lebensjahres können Kleinkinder die Reihenfolge von größer oder kleiner werdenden Mengen beziehungsweise Flächen erkennen. Mit Beginn des Sprechens im zweiten Lebensjahr erlernen Kinder die systematische Nutzung der Zahlwörter. Diese werden vor sich hin geplappert, die Zahlenreihe wird wie eine Art Reim aufgesagt – mit Zählen hat dies aber meist noch nichts zu tun. Mit drei Jahren sind Kinder in der Lage, bis fünf zu zählen und durch Antippen beziehungsweise Deuten auch Elemente in diesem Bereich abzuzählen. Die Kenntnis des Zahlenraums steigert sich nun stetig. Mit dreieinhalb Jahren kennen Kinder die Zahlenwörter bis zehn, und im Alter von viereinhalb Jahren können sie bis zwanzig zählen, wobei einige Kinder hier noch relativ unsicher sind. Bis zum dritten Lebensjahr nutzen Kinder beim Zählen noch das Prinzip des „subitizing“ (auch bekannt als Simultanerfassung), worunter man das Schätzen kleiner Mengen (maximal vier Elemente) durch spontanes visuelles Erfassen versteht. Diese Fähigkeit wird durchaus auch von Erwachsenen angewendet, um kleine Mengen zu erfassen (überprüfen Sie sich mal selbst!). „Subitizing“ scheint also grundlegend im Nervensystem des Menschen verankert zu sein. Das eigentliche Zählen ist auch für Erwachsene erst ab einer Anzahl von fünf Objekten und mehr nötig. Günstig für das Prinzip der spontanen Erfassung einer Menge wirkt sich eine strukturierte Anordnung der einzelnen Elemente aus.

Mathematisches Verständnis bei Kindern ab drei Jahren

Ab einem Alter von drei Jahren beginnen die Kinder, auch Mengen tatsächlich zu versprachlichen, wobei sie sich auf die meist auswendig gelernte Zahlenreihe beziehen und meist vergessen, die Dinge tatsächlich abzuzählen. Im Laufe des vierten Lebensjahres verinnerlichen sie dann gewisse Zähl-Grundlagen, wie das Kardinalitätsprinzip (Zahlen werden zur Beschreibung von Anzahlen genutzt, das letzte genannte Zahlwort, bezeichnet auch die Menge), die Eins-zu-Eins-Zuordnung (einem Element wird eine Zahl zugeordnet) und das Prinzip der stabilen Reihenfolge (für das Zählergebnis ist die Anordnung oder die Abfolge der zu zählenden Menge nicht ausschlaggebend). Diese Prinzipien scheinen die Kinder zunächst auf einen kleineren Zahlenraum anzuwenden und zu festigen, bevor sie weiter auf einen größeren Zahlenraum übertragen werden. Das Verstehen solcher Prinzipien versetzt Kinder ab vier Jahren in die Lage, kleinere Additions- und Subtraktionsaufgaben zu lösen, dabei sind sie aber noch auf visuelle Darstellungsmittel und Antippen angewiesen. Im Vorschulalter verfügen die Kinder dann über die Fähigkeit, Strukturen in geordneten Objektmengen (Würfelbilder) zu erkennen, von einer bestimmten Startzahl an aufwärts zu zählen und einfache Additionsaufgaben zu lösen. Bei letzterem benutzen Vorschulkinder unterschiedliche Strategien:

  • Abruf aus dem Gedächtnis (von schon bekannten Aufgaben oder Darstellungen, dies nutzen die meisten Kinder, kommen aber oft zum falschen Ergebnis),
  • Darstellung durch Finger (hohe Erfolgsquote),
  • Zählen (dies nutzen sehr wenige Kinder, die Erfolgsquote liegt bei 50%),
  • Fingerzählen (Darstellen der Summenaden durch jeweils eine Hand und finales Abzählen, sehr zeitintensiv, aber meistens mit dem richtigen Ergebnis, eine durchaus komplexe Methode).

Grundlage für ein gefestigtes mathematisches Verständnis im Bereich des Mengen- und Zahlenwissens ist also nicht nur die Kenntnis des Zahlenworts, sondern auch die Bezugnahme zur entsprechenden Menge, auch als bildliche Darstellung (Punkte, Würfelbilder). Weiterhin spielen der kulturelle Kontext sowie die Sprache eine bedeutende Rolle. Zahlensymbole und Mengenbegriffe sind kulturabhängig, einige Kulturen besitzen beispielsweise nur sehr grobe Bezeichnungen für Mengen.

Gehen Sie nun noch mal in sich: In welchen Kontexten wird Mathematik in Ihrem Kinderhaus schon gelebt? Wo lassen sich Mengen darüber hinaus darstellen und mit Zahlworten verknüpfen? Wo können Kinder einen Mengen- und Zahlenbegriff erwerben?

Quellen:
Daseking, M., Lemcke, J. & Petermann, F. (2006): Vorläuferstörungen schulischer Fertigkeiten: Erfassung von kognitiven Leistungen im Kindergartenalter. In: Petermann, U. & Petermann, F. (Hrsg.): Diagnostik sonderpädagogischen Förderbedarfs. Göttingen: Hogrefe. S. 211-237.
Oerter, R: & Dreher, M. (2002): Entwicklung des Problemlösens. In: Oerter, R. & Montada, L.: Entwicklungspsychologie (5. Auflage). Weinheim & Basel: Beltz PVU. S. 469-494.
Pahnke, J. & Pauen, S. (2009): Entwicklung mathematischen Denkens. In: Pauen, S. & Herber, V. (Hrsg.): Vom Kleinsein zum Einstein. Berlin: Cornelsen Scriptor. S. 22-40.
Quaiser-Pohl, C. (2008): Förderung mathematischer Vorläuferfähigkeiten im Kindergarten mit dem Programm „Spielend Mathe“. In: Hellmich, F. & Köster, H. (Hrsg.): Vorschulische Bildungsprozesse in Mathematik und in den Naturwissenschaften. Bad Heilbrunn: Klinkhardt. S. 103-125.

Mehr von Anja Burger

Was sind Widerstandsressourcen?

Bezugnehmend auf den Beitrag „Was ist Gesundheit?“  nehmen wir heute das Thema „Widerstandsressourcen“ unter die Lupe: Was sind diese Ressourcen? Besitze ich diese? Kann ich diese „erlernen“?

Energie ist ständig erforderlich

Nach Sichtweise der Salutogenese machen Belastungen und Stress ein Teil unseres Lebens aus. Ein Leben ohne Hürden gibt es nicht. Das können Sorgen um die Familie sein, Ärger im Beruf, Schwierigkeiten mit anstehenden Herausforderungen, Aufregungen über unvorhergesehene Vorfälle etc. In der Literatur wird oft die Metapher eines Flusses gewählt, um die Idee der Salutogenese zu erläutern. So wie der Fluss sich durch die Landschaft schlängelt, seinen Lauf bei einem im Weg befindlichen Fels ändert, so passen auch wir Menschen uns an Veränderungen an. Wir kommen nicht „einfach so“ gesund durch den Fluss oder an seinem Ufer entlang. Der Mensch muss Energie aufwenden, um den Kopf über Wasser zu halten, und lernen, gut in den unwägbaren Fluten zu schwimmen. Da mag es Flussabschnitte geben, in denen das Schwimmen nur wenig Mühe erfordert, und solche, in denen man sich abstrampelt, Hindernisse beseitigen oder umschwimmen muss. Oder solche Abschnitte, in denen man neue Techniken braucht, um nicht zu ertrinken, und so schwierige, unvorhersehbare und unbekannte Situationen meistern kann. Ganz ohne Bewegungen und Mühe jedoch wird es nicht gehen. Es muss also ständig Energie aufgebracht werden.

Widerstandsressorcen machen uns resistent

Menschen – so die Annahme des Konzepts – „bleiben nicht von selbst in einem gleich bleibenden Zustand von Gesundheit, der nur von gelegentlichen Störungen unterbrochen wird, sondern sie sind fortdauernd mit neuen Anforderungen konfrontiert, die Anpassungsleistungen und aktive Bewältigung erfordern. Die Mittel und Wege zur Bewältigung von Anforderungen und Stress werden im salutogenetischen Konzept Widerstandsressourcen genannt. Je mehr Widerstandsressourcen einer Person zur Verfügung stehen, desto weniger kann der Stress der Gesundheit schaden, weil diese Person immer wieder die Erfahrung macht, dass sie den Stress meistern kann und ihm nicht hilflos ausgeliefert ist.“ (Franke/Witte 2009, S. xx)

Jeder Mensch kann Einfluss nehmen

Widerstandsressourcen sind in jedem Einzelnen, wie auch in dessen Umfeld und in der Gesellschaft zu finden. Um im Bild des Flusses zu bleiben: Sowohl der Lauf des Flusses mit seinen Stromschnellen oder ruhigen Passagen als auch die individuellen Schwimmfertigkeiten entscheiden darüber, wie eine Strecke bewältigt wird. Die individuellen Widerstandsressourcen sind von entscheidender Bedeutung – dies sind z.B. Wissen, Selbstsicherheit, Problemlösefähigkeit, Humor, Gelassenheit, Willensstärke. Und auf diese Eigenschaften kann jeder Mensch einen gewissen Einfluss nehmen. Nicht wenige Menschen erleben darüber hinaus ihren Glauben als eine wichtige Ressource, andere schöpfen Kraft aus ihren sozialen Beziehungen, dem Zusammensein mit ihren Freund*innen oder der Familie. Auch Hobbys, Urlaub, Zeit für sich, Spaziergänge in der Natur, der Besuch eines Museums, der Beruf als Berufung oder ausreichender Schlaf können als Widerstandsressource wirken.

Welche dieser Ressourcen stehen Ihnen zur Verfügung und wie tragen Ihre persönlichen Ressourcen dazu bei, dass Sie sich stark oder schwach, gesund oder krank fühlen? Machen Sie sich Gedanken, wo Sie sich in einem Kontinuum von gesund bis krank momentan befinden. Was müsste geschehen, dass Sie sich gesünder fühlen und sich Ihre Einschätzung verbessern würde? Welche Ressourcen können Ihnen dabei helfen? Gibt es Ressourcen, die Sie bei Ihren Mitmenschen schätzen und von denen Sie lernen können? Ich freue mich auf Ihre Gedanken, Ideen, Rückmeldungen in den Kommentaren.

Literatur

Franke, Alexa; Witte, Maibritt (2009): Das HEDE-Training – Manual zur Gesundheitsförderung auf Basis der Salutogenese. Huber: Bern

Mehr von Barbara Schmieder

Resilienz (Teil 2): Risiko- und Schutzfaktoren

Anknüpfend an den ersten Teil, möchte ich in diesem Artikel mit Ihnen gemeinsam auf die Bedeutung von Risiko- und Schutzfaktoren schauen. Zur Erinnerung: Die risikoerhöhenden Bedingungen führen zu einer Verwundbarkeit und die risikomildernden fördern und unterstützen die Resilienz des Kindes. Beide stehen selbstverständlich in Wechselwirkung und werden nicht nur durch die Arbeit der Pädagogen in den Einrichtungen beeinflusst.

In diesem Zusammenhang wird ganz allgemein zwischen Risikofaktoren unterschieden,

  • die von Geburt an die Resilienz negativ beeinflussen, wie eine Frühgeburt oder chronische Erkrankung,
  • die durch die Interaktion mit der Umwelt entscheidend werden, wie eine unsichere Bindungsorganisation,
  • und die durch Stressoren aus der psychosozialen Umwelt des Kindes bedingt sind, wie Armut oder ungünstige Erziehungspraktiken der Eltern.

Auch im Bezug auf die Schutzfaktoren gibt es Unterscheidungen. Sie sind zurückzuführen auf:

  • individuelle Eigenschaften des Kindes, wie intellektuelle Fähigkeiten,
  • mikrosoziale Faktoren in der direkten Umwelt des Kindes, wie der Zusammenhalt, die Stabilität und konstruktive Kommunikation innerhalb der Familie,
  • Faktoren innerhalb des Makrosystems, wie klare, transparente und konsistente Regeln in den Bildungsinstitutionen.

Faktoren in der Kita

Da unsere element-i Einrichtungen zum Makrosystem der Kinder zählen, ist das der Ansatzpunkt unserer pädagogischen Arbeit. Es folgen einige Beispiele, wie unsere Pädagogen die Resilienz bei Kindern fördern können. Gleichzeitig möchte ich zur Reflektion unserer Arbeit anregen.

Es braucht ein wertschätzendes Klima in der Kita, gekennzeichnet durch Respekt, Wärme und Akzeptanz gegenüber dem Kind. Wichtig sind nach wissenschaftlichen Erkenntnissen auch fürsorgliche und kompetente Erwachsene außerhalb der Familie, die Sicherheit vermitteln, Vertrauen fördern und als positive Rollenmodelle fungieren. In welchen Situationen schaffe ich das gut und wann fällt mir das schwer (z.B. durch (Körper-)Sprache, Partizipation, (Selbst- und Fremd-)Reflektion eigener Arbeit, etc.)?

Außerdem benötigt das Kind passgenaue Bildungsangebote und -impulse. Dazu braucht es einen Überblick über folgende Fragen: Welche Zone der nächsten Entwicklung liegt vor dem Kind und welches pädagogische Handeln folgt daraus (z.B. durch element-i Bögen in allen Bildungsbereichen und Reisepässe)?

Faktoren außerhalb der Kita

Darüber hinaus ist eine gute Zusammenarbeit mit dem Elternhaus und anderen sozialen Institutionen förderlich. Wie gut und oft ist der Austausch mit den Eltern in meiner Einrichtung (z.B. durch Tür- und Angelgespräche, regelmäßige Gespräche zum Entwicklungsstand, Elternveranstaltungen, etc.)?

Weiterhin braucht das Kind positive Freundschaftsbeziehungen. Letztlich können durch sie Basiskompetenzen und damit Resilienzfaktoren der Kinder gefördert werden. Dazu zählen unter anderem Selbstwahrnehmung, Empathie, kreatives und kritisches Denken, Selbstwirksamkeit, Kommunikationsfähigkeit, Selbststeuerung, Soziale Kompetenz, Umgang mit Stress und Problemlösefähigkeit. Wie fördere ich diese Kompetenzen in meinem Bildungsbereich? Neben den naheliegenden Bildungsbereichen, wie Sprache und Sozialem Miteinander, zählen dazu beispielsweise auch Bewegung, Spiel und Sport in Bezug auf Körpersprache oder Konstruktion und Mechanik in Bezug auf das Unterstützen von Problemlösefähigkeit.

Bestimmt haben Sie gerade festgestellt, wieviel Sie davon im Alltag bereits umsetzen. Und doch ist Ihnen vielleicht an der einen oder anderen Stelle noch eine neue Idee gekommen. Oder es ist Ihnen nun klarer, warum die element-i Bögen oder die Elterngespräche auch unter dem Blickwinkel der Resilienz so wichtig sind.

Literatur

Fröhlich-Gildhoff, Klaus; Rönnau-Böse, Maike (2014): Resilienz. Ernst Reinhardt: München/Basel

Mehr von Denise Samuel

Umgang mit schwierigen Eingewöhnungen

Nicht jede Eingewöhnung verläuft nach dem zuletzt vorgestellten Schema von Eingewöhnungsmodellen. Jedes Kind ist anders und bringt eigene Bindungserfahrungen mit, die entscheidend für den Aufbau der Bindung zu anderen Menschen sind. Daher gelingt auch nicht jede Eingewöhnung oder sie benötigt sehr viel mehr Zeit, bzw. eine andere Vorgehensweisen. Ansätze zur Bewältigung solcher schwierigen Eingewöhnungen werden heute vorgestellt. Zuvor möchte ich auf zwei Personengruppen eingehen, die zum Gelingen der Eingewöhnung betragen (können): die pädagogische Fachkraft und die Eltern.

Bindungserfahrung der Eltern

Im Artikel zur Bindungstheorie wurde angedeutet, dass die Bindungserfahrungen der Eltern eine bedeutende Rolle auf die Bindungserfahrungen des eigenen Kindes haben. Man spricht hierbei von internalen Arbeitsmodellen von Bindung, die sich auf das eigene Verhalten zum Kind auswirken. Dies sind meist rekonstruierte Erinnerungen zu Beziehungen, der eigenen Lebenszufriedenheit und der Persönlichkeit. Diese Faktoren wirken sich nicht direkt auf die Bindungsqualität zum eigenen Kind aus, können sie aber beeinflussen. Entscheidend ist hierbei, wie man das eigene Kind betrachtet und welche Haltung man zu ihm hat.

Weitere Faktoren, die Einfluss auf die Bindungsqualität nehmen können, sind die Beziehung zwischen den Elternteilen, Stressoren außerhalb der Familie und soziale Unterstützungsmöglichkeit im Umfeld. Weiter bringt die Eingewöhnung in eine Kindertagesstätte nicht nur für das Kind einen Wandel seiner Lebensumstände mit sich. Folgt man der Transitionstheorie, geht mit der Eingewöhnung auch für die betroffenen Elternteile eine Umstellung einher. Die Eltern müssen sich darauf einstellen, ihr Kind, mit dem sie viel Zeit verbracht haben, zur Betreuung in fremde Hände zu übergeben, was nicht selten Schuldgefühle bei den Eltern auslöst. Gleichwohl können Eltern auch Ängste entwickeln, ihr Kind mit der neuen Umgebung zu überfordern oder auch die Bindung zu ihm zu schwächen oder zu verlieren. Oft ist die Eingewöhnung in die Kita mit dem Wiedereinstieg (meist der Mutter) ins Berufsleben verbunden. Studien belegen, dass die Einstellung der Eltern zu diesen beiden Parametern signifikant entscheidend für das Gelingen der Eingewöhnung ist: Eltern, die die gleichzeitige Eltern- und Arbeitnehmerrolle als stressreich empfinden, sich gezwungen fühlen, wieder arbeiten gehen zu müssen (z.B. aus finanziellen Gründen) und ihr Kind noch nicht in fremde Betreuung geben wollen, gelingt die Trennung vom Kind im Rahmen der Eingewöhnung meist am schlechtesten.

Können beide Elternteile sich in der Situation gut zurechtfinden und die Doppelrolle als Elternteil und Arbeitnehmer akzeptieren, zeigen sich wiederum meist sehr hohe Werte in der Bindungssicherheit zwischen Kind und Eltern. Der Eintritt in die Kita und die Wiederaufnahme der Arbeit bringt zudem veränderte innerfamiliäre Abläufe mit sich, an die sich sowohl das Kind als auch die Eltern gewöhnen müssen. Gleichzeitig sollte es den Eltern gelingen, eine Identität als Kita-Eltern aufzubauen, wozu ein Austausch über die Erwartungen der Einrichtung an die Eltern hilfreich ist.

Aufgabe der pädagogischen Fachkraft

An diesem Punkt kommen wir zur zweiten Personengruppe für eine gelingende Eingewöhnung: Die eingewöhnende Erzieherin (wie in der allgemeinen Literatur wird in der Folge zur Vereinfachung die weibliche Form genutzt). Hier ist zum einen das Wissen über Bindungsentwicklung und die Bedeutung von Bindung für die kindliche Entwicklung und auch den Übergang von Familie in die Einrichtung relevant. Mit diesem Wissen gelingt es meist zu einem sehr frühen Zeitpunkt der Eingewöhnung, Bindungsmuster zu erkennen und ggf. entsprechend zu reagieren und alle beeinflussenden Faktoren zu berücksichtigen. Eng zusammen hängt hiermit auch die Fähigkeit und Bereitschaft zur Selbstreflexion der Pädagogin. Die Erkenntnisse daraus sind zusammen mit den Kind-Beobachtungen Grundlage für das pädagogische Handeln. Hierzu gehört auch die Erkenntnis, dass es sich im Institutionskontext vor allem um eine enge und stabile Beziehung handelt, die zwischen Kind und Fachkraft aufgebaut wird und nicht um eine den lang andauernde Bindung wie die zwischen Eltern und Kind.

Das erzieherische Handeln sollte dem Kind gegenüber empathisch und zugewandt sein, die Pädagogin bietet zunehmend Geborgenheit, Sicherheit und Rückhalt und bereitet eine emotional (und auch räumlich) warme Atmosphäre. Dies wird allgemein als Feinfühligkeit der Erzieherin beschrieben und hat einen hohen Stellenwert für das Gelingen der Eingewöhnung, besonders bei Kindern mit unsicheren Bindungen zum Elternteil. Weiter sollte die Fachkraft die Möglichkeit zur Stressreduktion bieten, um Emotionen regulieren zu können. Vor allem aber übernimmt sie die Rolle der Explorationspartnerin und muss die Balance zwischen Erkundung und Rückversicherung des Kindes finden. Hierfür ist die aufgebaute Beziehung die Grundlage. Gleichzeitig bietet sie eine Art Assistenz und Unterstützung, wenn das Kind an seine eigenen Grenzen kommt.

Zur Aufgabe der Pädagogin gehört auch das Gespräch mit den Eltern, sowohl im Erstgespräch vor Beginn der Eingewöhnung als auch während der Eingewöhnung. Hier sollte man versuchen herauszufinden, wie die Zeit zu Hause mit dem Kind in den ersten Lebensmonaten war: Welche Gelegenheiten hatte das Kind, andere Bindungen aufzubauen, und wie ist dies gelungen? Welche persönlichen Bedürfnisse hat das Kind und wie äußert es diese? Wie reagieren die Eltern normalerweise darauf (weinen bedeutet zum Beispiel nicht immer, getragen werden zu wollen)? Wie geht es den Eltern mit der Situation der außerhäuslichen Betreuung? Selbstverständlich heißt es auch hierbei feinfühlig vorzugehen und sich bewusst zu machen, dass man ggf. in den sogenannten Tanzbereich der Eltern eintritt. Einige Eltern empfinden sogar Konkurrenzgefühle den Erzieherinnen gegenüber. Wenn die Eltern Grenzen aufzeigen, muss dies akzeptiert werden, da es sonst zum Bruch des möglicherweise beginnenden Vertrauens führen kann. Feinfühliges Vorgehen begleitet die Kommunikation mit den Eltern bzw. dem eingewöhnenden Elternteil auch weiterhin.

Sicher hat man im Erstgespräch, zu dem möglichst immer eine Hausbesichtigung gehören sollte, schon den Verlauf der Eingewöhnung besprochen, doch in der hohen Emotionalität, die Eltern meist während der Eingewöhnung begleitet, muss Vieles nochmal aufgegriffen werden. Es ist ratsam, den Eltern Stück für Stück die nächsten Schritte zu erklären und zu besprechen, warum die Zeit für den nächsten Schritt gekommen ist, an welchen Zeichen und Reaktionen des Kindes man festmacht, ob die nächsten Phase eingeläutet werden kann. Gerade bei Schwierigkeiten während der Eingewöhnung sollte die Pädagogin als einfühlsame Gesprächspartnerin fungieren, die den Eltern eventuell aufkommende Schuldgefühle nimmt. Hierzu ist ein täglicher Bericht zum Tun und den Entwicklungen des Kindes gewinnbringend.

Wann gilt eine Eingewöhnung als erfolgreich abgeschlossen? Das Kind zeigt sich gut integriert, es erkundet den Raum und tritt zunehmend mit anderen Kindern oder auch Erwachsenen in Interaktion. Es darf bei der Verabschiedung durchaus weinen, das starke Äußern seiner Emotionen dient der erfolgreichen Übergangsbewältigung. Wichtig ist jedoch, dass es sich zeitnah nach der Trennung wieder beruhigen lässt und wieder ins Spiel findet.

Hilfestellungen

Welche Möglichkeiten hat man nun, wenn die Eingewöhnung nicht voranschreitet und das Kind lange weint und großen Trennungsschmerz zeigt? Die folgende Liste gibt überblicksartig einige Hinweis zum Vorgehen:

  • Geduld mit sich: Wie beschrieben, müssen Kinder lernen, eine Beziehung zu anderen Personen aufzubauen. Geben Sie dem Kind die Gelegenheit und die Zeit dafür. Verzweifeln sie nicht gleich an sich, wenn die ersten Trennungen mit vielen Tränen verbunden sind.
  • Zeit für die Eingewöhnung: Nehmen Sie sich Zeit für die Eingewöhnung. Im Idealfall können Kolleginnen Ihnen diese Freiräume verschaffen. Gleichzeitig sollten auch die Eltern Zeit für die Eingewöhnung ihres Kindes mitbringen – besprechen Sie dies ausführlich. Haben die Eltern zeitlichen Druck, merken dies die Kinder oft.
  • Situation zu Hause: Versuchen Sie im Gespräch mit den Eltern etwas über die momentane Situation zu Hause zu erfahren: Wie verhält sich das Kind dort seit der Eingewöhnung? Wie reagieren die Eltern auf Signale des Kindes? Gibt es neue, besondere Situationen (Geburt eines Geschwisterchens o.ä.)? Wie reagiert das Kind auf andere Personen und bei Trennung im bisher bekannten Rahmen, fremdelt es?
  • Abläufe zu Hause: Versuchen Sie in Erfahrung zu bringen, was sich durch den Einrichtungsbesuch ändert oder auch geändert hat. Erörtern sie gemeinsam, ob es die Möglichkeit für eine gewisse Routine zu Hause gibt.
  • Gefühle zulassen: Kinder, die ihre Emotionen zum Ausdruck bringen dürfen, sind letztlich emotional stabiler. Lassen Sie also Weinen oder andere Gefühlsäußerungen wie Zorn durchaus zu, und legitimieren Sie dies auch vor den Eltern. Wichtig ist, dass sich das Kind in einer angemessenen Zeit von Ihnen beruhigen lässt.
  • Physische Bedürfnisse des Kindes: Ist die Terminierung der Eingewöhnung passend, oder liegt sie möglicherweise in eine Schlaf- oder Essensphase des Kindes? In dem Falle bietet es sich an, die Eingewöhnung zum Beispiel auf den Nachmittag zu legen, sofern das Kind am Nachmittag eine „fittere“ Phase hat. Möglicherweise kann das Elternhaus seine Abläufe langfristig an die Zeiten in der Einrichtung anpassen. So lässt sich (vielleicht schon vor Beginn der Eingewöhnung) eine gemeinsame Routine entwickeln.
  • Übergangsobjekt: Das Lieblingskuscheltier wird meist im Erstgespräch angesprochen, fragen Sie ggf. hier nochmal nach. Auch wenn Kinder bisher keins hatten, im Rahmen der Eingewöhnung entwickelt sich der ein oder andere Gegenstand zum unterstützenden Übergangsobjekt.
  • Lieblingstätigkeiten: Was tut das Kind momentan zu Hause gern? Lässt sich diese Tätigkeit in der Einrichtung aufgreifen? Für den Beginn kann es hilfreich sein, das entsprechende Spielmaterial, ähnlich dem Übergangsobjekt, mit in die Einrichtung zu bringen. Darüber hinaus können Klassiker wie Aktivitäten mit Wasser, Matsch oder Schaum eine intensive Beschäftigung und Entspannung bieten. Für manche Kinder kann ein gänzlich fremdes Spielmaterial spannend und hilfreich für den Eingewöhnungsprozess wirken. Gleiches gilt für einen neuen Raum, der möglicherweise attraktiver ist.
  • Andere Personen: Im Konzept-e-Netzwerk sprechen wir seit längerem von Dokumentations-Pädagogen, die sicher die Eingewöhnung übernehmen. Dennoch ist die Person nicht gleichzeitig die, zu der sich die engste Beziehung tatsächlich aufbaut. Überprüfen Sie, ob dem Kind eine andere Person in der Einrichtung lieber ist. Seien Sie hierbei flexibel und gönnen Sie dem Kind dieses Bedürfnis. Es mag sein, dass der eingewöhnende Elternteil nicht die ideale Person für das Kind ist. Sprechen Sie bei Bedarf an, ob eine andere Person (Partner*in, Großeltern) eingewöhnen kann und sich besser lösen kann. Hier gilt zu bedenken, dass in dem Falle schon zu Hause eine nötige Verabschiedung von der offensichtlichen Hauptbindungsperson manchmal auch eher zum Gegenteil führt. In Anlehnung an das Münchner Eingewöhnungsmodell schauen Sie bitte auf die Kindergruppe: Gibt es in der Gruppe ungünstige Konstellationen, und wie kann man damit umgehen?
  • Elterngespräche: Den Leitfragebogen zur Eingewöhnung kennen Sie. Wichtig ist, den Eltern so Verständnis zur Bindungstheorie und -entwicklung mitzugeben, auch in Gesprächen während der Eingewöhnung. Machen Sie deutlich, warum Sie so agieren und nicht anders, und bleiben Sie im Gespräch mit den Eltern. Auch zwischen Ihnen muss sich Vertrauen aufbauen. Versuchen Sie, die Fortschritte zu kommunizieren und die Zeit des Kindes in der Kita zu verbildlichen: ein frühes Portfolio oder auch ein ICH-Buch sind für Eltern und Kind eine gute erste Verbindung zur Einrichtung.

Ich wünsche Ihnen für Ihre künftigen Eingewöhnungen viel Erfolg. Bedenken Sie die genannten Punkte auch für die Wieder-Eingewöhnungen nach der aktuellen Schließung. Für einige Kinder wird dies relevant sein. Gehen Sie dafür rechtzeitig mit den Eltern ins Gespräch, erfragen Sie, wie die vergangenen Wochen verliefen und weisen Sie auf ausreichend Zeit für die Re-Eingewöhnung hin. Bei Fragen oder Anregungen und Ideen dazu, freuen wir uns über Rückmeldungen von Ihnen!

Quellen:
Bauer, M.; Klamer, K. & Veit, M.: „So gelingt der Start in die Kita“ – Bindungsorientierte Eingewöhnung. In: Textor, M. R. & Bostelmann, A. (Hrsg.): Das Kita-Handbuch. https://www.kindergartenpaedagogik.de/images/PDF/1985.pdf (zuletzt aufgerufen am 20.4.2020)
Berk, L. E. (32005): Entwicklungspsychologie. München: Pearson. Kap. 6.4.
Hédevári-Heller, E: Eingewöhnung. In: Weegmann, W. & Kammerlander, C. (2010): Die Jüngsten in der Kita. Stuttgart: Kohlhammer.

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Vorlesen kann mehr als Lesen sein

Der vierjährige Magnus bittet Maria, mit ihm ein Buch anzuschauen. Maria willigt ein, und nach wenigen Augenblicken gesellen sich weitere Kinder dazu. Maria handelt mit den Kindern aus: Wo wollen wir sitzen? Welches Buch schauen wir an? Die Gruppe findet einen geeigneten Platz und einigt sich auf die Geschichte von Frederick, dem Mäuserich. „Rund um die Wiese herum, wo Kühe und Pferde grasten …“, beginnt Maria. Doch schon bald regt sie die Kinder an, die Geschichte selbst weiter zu erzählen. Es entspinnt sich anhand der Bilder im Buch ein Dialog, in dem alle zu Wort kommen – jedes Kind mit seinen sprachlichen Kompetenzen.

Dass Vorlesen nicht unbedingt ein Buch mit viel Text voraussetzt, darauf hat die Stiftung Lesen in ihrer Vorlesestudie aus dem Jahr 2019 nochmals hingewiesen. Eltern, so ein Befund der Forscher*innen, hätten ein recht enges Verständnis von Vorlesen. Zum Vorlesen gehört für viele der Studienteilnehmer*innen ein Buch mit (viel) Text. Dass das Betrachten eines Wimmel- oder Bilderbuches, das Vorlesen eines Textes vom E-Reader oder auch das Erzählen eines Märchens Aktivitäten sind, die dem Vorlesen recht ähnlich sind, das kam den Befragten nicht sogleich in den Sinn.

Studie: Die meisten Eltern lesen vor

Die Studie der Stiftung Lesen bestätigt weiterhin Ergebnisse, die denen älterer Studien recht ähnlich sind. Die guten Botschaften dabei sind: Mehr als zwei Drittel der Eltern lesen ihren Kindern zu Hause mehrfach pro Woche oder sogar mehrfach täglich etwas vor. Befragt wurden dabei Eltern von Kindern im Alter von 2 bis 8 Jahren. Die Kinder profitieren davon in vielfältiger Weise: beispielsweise wird der Wortschatz erweitert, die Kinder lernen grammatikalische Strukturen kennen, etwas über den richtigen Gebrauch der Sprache, erwerben Sachwissen u.a.m. Auch für die Schulzeit sind die frühen Erfahrungen von Vorteil: Lesenlernen fällt diesen Kindern leicht, die schulischen Leistungen später sind besser als die der Kinder, denen selten bis nie vorgelesen wurde. Soziale Kompetenzen, die Fähigkeit, andere zu integrieren oder einen Gerechtigkeitssinn zu entwickeln, würden positiv beeinflusst (Schuster 2019). Selbst der Aufbau von Freundschaften ist leichter, wenn Kinder einen differenzierten Wortschatz haben (Jungmann et al. 2018, 36). Die weniger gute Botschaft lässt sich leicht erahnen: Einem Drittel der Kinder wird selten oder gar nicht vorgelesen. Die positiven Auswirkungen des Umgangs mit Wimmelbildern, Geschichten, Märchen … stellen sich folglich nicht vergleichbar ein. Das legen auch andere Studienergebnisse nahe, z.B. die der Pisa-Studie 2018: ein Fünftel der Kinder tut sich im Alter von 15 Jahren schwer mit Texten.

Auftrag an Kitas ist deutlich

Was bedeuten die Befunde für die pädagogische Arbeit in Kindertageseinrichtungen? Einerseits ist der Auftrag – ganz klar – ein kompensatorischer. Wir bieten allen Kindern, jedoch vor allem jenen, die zu Hause wenig mit Büchern umgehen und denen selten vorgelesen wird, vielfältige sprachliche Impulse: durch Vorlesen oder dialogisches Lesen, durch ein angemessenes sprachliches Vorbild und angemessenen sprachlichen Input, durch Anregen der Sprachproduktion und Dialoge auf Augenhöhe, durch korrektives Feedback und das Erhalten der Freude am Sprechen. Kurz gesagt: sprachliche Bildung findet in den element-i Kinderhäusern alltagsintegriert statt. Wie gut gelingt uns alltagsintegrierte Sprachbildung in den Kinderhäusern? Spricht jedes Kind jeden Tag mit anderen Kindern und mit mindestens einer erwachsenen Person, die den Entwicklungsstand des Kindes kennt und dem Kind hilfreiche Anregungen gibt? Und wie ausführlich und abwechslungsreich ist dieser Dialog? Welche Situationen im Alltag werden für die sprachliche Bildung genutzt und wie werden sie genutzt?

Eltern sollen sensibilisiert werden

Andererseits besteht auch ein Auftrag für die Zusammenarbeit mit den Eltern: „Die Initiatoren der Studie empfehlen, mit Maßnahmen zur Sensibilisierung und Motivation von Eltern nicht nachzulassen und vor allem (vor)leseferne Zielgruppen noch stärker zu fokussieren und in ihren Lebenswelten anzusprechen. Bei der Ansprache von Familien sollten sprach- und lesefördernde Aktivitäten, die zum Vorlesen dazu gehören, es vorbereiten und ergänzen, explizit benannt und noch deutlicher damit in Verbindung gebracht werden“ (Schuster 2019). Das kann ein Projekt zum Thema Sprachen sein, bei dem Eltern zur Kiko oder in den Singkreis eingeladen werden.

Mich hat die folgende Idee beeindruckt: Im Kinderhaus Königskinder in München wurde eine Mini Bücherei eingerichtet. In einer abschließbaren Glasvitrine direkt am Ausgang sind Bücher und Bildkarten, die gerade bei den Kindern beliebt sind, gut sichtbar ausgestellt. Immer häufiger fragen die Kinder beim Abholen: „Darf ich das mit nach Hause nehmen?“ Die zuständige Erzieher*in arrangiert die Ausleihe. Wenn das Buch nach einigen Tagen zurück gebracht wird, entsteht mit Fragen wie: „Was hast du denn da mitgebracht?“ oder „Wie hat dir das Buch gefallen?“ der Anlass für einen Dialog mit dem Kind – und vielleicht auch mit den Eltern.

Quellen:
Jungmann, Tanja; Morawiak, Ulrike; Meindl, Marlene (2018): Überall steckt Sprache drin. Alltagsintegrierte Sprach- und Literacy-Förderung für 3- bis 6-jähringe Kinder. Ernst Reinhardt: München/Basel

Stiftung Lesen (2019): Vorlesestudie 2019 –Vorlesepraxis durch sprachanregende Aktivitäten in Familien vorbereiten und unterstützen. Repräsentative Befragung von Eltern mit Kindern im Alter von 2 bis 8 Jahren. https://www.stiftunglesen.de/download.php?type=documentpdf&id=2595 (letzter Zugriff: 17.4.2020)

Schuster, Christine (2019): Vorlesepraxis durch sprachanregende Aktivitäten in Familien vorbereiten und unterstützen. https://www.nifbe.de/infoservice/aktuelles/1589-vorlesestudie-2019-vorlesen-mehr-als-vor-lesen (letzter Zugriff: 17.4.2020)

Mehr von Christina Henning

Spanischsprachige Erzieherinnen in der Bärcheninsel

Im element-i Kinderhaus Bärcheninsel haben neue Native Speaker angefangen! Sie werden die Kinder in Zukunft an die spanische Sprache heranführen.

Trotz der eingeschränkten Kinderhausöffnung hatten die beiden spanischen Fachkräfte María und Georgina im April ihren Start in der Einrichtung. Noch sind die beiden zuhause und nur über Skype mit ihren Kollegen in Kontakt, doch stehen sie schon hoch motiviert in den Startlöchern.

Die beiden Erzieherinnen aus Barcelona kamen durch die Zusammenarbeit mit der internationalen Agentur für Arbeit nach Deutschland. Dort haben sie im Januar zunächst einen Deutschkurs besucht.

Im Kinderhaus werden sie nach der Immersionsmethode arbeiten. Das bedeutet, dass die Kinder keine Vokabeln lernen werden, sondern die Sprache lernen, indem sie sie in ganzen Sätzen in Kombination mit Mimik und Gestik hören. Dazu haben die spanischen Kolleginnen jeweils eine/n deutschsprachige/n Tandempartner/in, der/die die spanischen Sätze aufgreift und auf deutsch darauf reagiert oder sie wiedergibt. Die Kinder haben damit eine gute Gelegenheit, fremde Sprachen kennenzulernen, sich in die Laute und Klänge einzuhören und ein Gefühl dafür zu entwickeln.

Das Team der Bärcheninsel freut sich sehr, dass die beiden Pädagoginnen den Mut hatten nach Deutschland zu kommen, sich in eine neue Sprache einzulernen und bald bei ihnen arbeiten werden.

 

 

 

Soziale Entwicklung von Kindern

Jeder von uns hat sich innerhalb seiner Ausbildung oder seines Studiums mit der sozialen Entwicklung von Kindern auseinander gesetzt. Doch beim ein oder anderen ist das nun schon eine Weile her oder aus anderen Gründen nicht mehr ganz so präsent. Deshalb möchte ich an dieser Stelle die Grundlagen der sozialen Entwicklung in Erinnerung rufen und die daraus resultierenden Aufgaben darstellen.

Die Forschung geht heute davon aus, dass der Mensch von Geburt an ein soziales Wesen ist und eine aktive Rolle hat. Die soziale Entwicklung kann als Aufnahme, Veränderung und Aufrechterhaltung von sozialen Beziehungen beschrieben werden. Aus der biologisch und psychologischen Ausrichtung auf zwischenmenschlichen Kontakt ergibt sich, dass Kinder soziale und emotionale Wesen sind: Kinder haben eine menschliche Stimm- und Gesichtspräferenz und keinerlei passive Haltung bei der Beziehungsgestaltung. Es ist beispielsweise beobachtbar, dass Kinder sich Stimmen und Gesichter von Menschen bevorzugt zuwenden und durch Strampeln Aufmerksamkeit erregen.

Die Wichtigkeit der Peer-Beziehungen

Die Entwicklung verläuft, wie in den anderen Bereichen auch, mit individuellen Unterschieden. Dabei werden intra- und interindividuelle Unterschiede sichtbar: also einerseits innerhalb der Stabilität des Individuums und auf der anderen Seite die Niveauunterschiede zu Gleichaltrigen. Entscheidend für die soziale Entwicklung sind verschiedene soziale Beziehungen. Sowohl die Eltern-Kind-Beziehung und die daraus resultierende Bindungsqualität, aber auch die Geschwisterbeziehung oder Beziehung zu Gleichaltrigen tragen zur sozialen Entwicklung bei. Im Folgenden sehen wir uns letztere noch einmal genauer an. Durch den Kontakt mit Gleichaltrigen wird ein eigenständiges soziales System hergestellt, welches einzigartige soziale Lernerfahrungen bietet. Dabei sind Kooperationen, Gleichberechtigung und Symmetrie kennzeichnend für die Beziehung zwischen Gleichaltrigen. Auch die Peer-Beziehungen, wie die Beziehungen zu Gleichaltrigen mit ähnlichem Entwicklungsstand auch genannt werden, haben eine große Bedeutung für die kindliche Entwicklung und geben entscheidende Entwicklungsimpulse. Diese sind unter anderem eine bestimmte Kommunikationsstruktur, Aushandlungsprozesse, aber auch eine Überwindung des kindlichen Egozentrismus.

Freundschaften nach Selman unter Kindern

Enge positive Beziehungen, die auf Gegenseitigkeit angewiesen sind, sind Freundschaften. Ab sechs bis acht Monaten wird die Aufmerksamkeit der Kinder verstärkt auf Gleichaltrige gerichtet. Da die Begegnungen mit jenen aber nicht von Regeln bestimmt sind, sind diese Momente lediglich von kurzer Dauer. Das kooperative oder soziale Spiel beginnt ab einem Alter von ungefähr drei Jahren. Freundschaften entstehen nach Selman in fünf Stufen. Zunächst ist sie eine augenblicksbezogene Interaktion (Stufe 1), dann eine einseitige Hilfeleistung (Stufe 2), gefolgt von einer Schönwetterkooperation (Stufe 3). Anschließend gilt die Freundschaft als eine intime, gegenseitig gestützte Beziehung (Stufe 4) und zum Schluss als autonome Interdependenz (Stufe 5). Bei kleinen Kindern fehlt dabei oft noch das Kriterium der Stabilität und somit erreichen Kinder im Kindergartenalter höchstens Stufe zwei.

Soziale Entwicklung ist darüber hinaus sehr eng mit anderen Entwicklungsbereichen verbunden. Dazu zählt die emotionale Entwicklung, die Sprachentwicklung, die Identitätsentwicklung bzw. Entwicklung des Selbstkonzepts, die moralische Entwicklung und auch die kognitive Entwicklung.

Die Aufgabe des pädagogischen Fachpersonals ist in Bezug auf die soziale Entwicklung die individuelle Begleitung und Bewältigung wichtiger Entwicklungsaufgaben, wie

  • Kontakte mit Gleichaltrigen zu knüpfen und auszugestalten,
  • Konflikte zu bewältigen,
  • ein Bild von sich selbst und der Welt zu haben,
  • seinen Platz in der Gruppe zu finden,
  • Trennung von Eltern auszuhalten,
  • mit Emotionen umzugehen,
  • Kompetenzen zu erweitern,
  • den Handlungsraum zu vergrößern.

Des Weiteren ist die Erzieher*innen-Kind-Bindung entscheidend für die soziale Entwicklung des Kindes. Diese zeichnet sich durch Vorbildfunktion und Rollenmodell aus, durch die sichere Vertrauensbasis, Zuwendung und Sicherheit, Stressreduktion, Explorationsunterstützung, Assistenz und Prozessqualität.

Literatur:
Frank, Angela (2013): Kinder in ihrer sozial-emotionalen Entwicklung fördern. In: Kindergarten heute. Wissen kompakt. Herder: Freiburg

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Körperkontakt zu Kindern – um wessen Bedürfnis geht es hier überhaupt?

Diese Woche möchten wir, als Kinderschutzbeauftragte und Ansprechpartnerinnen für Gewaltprävention, Ihnen ein paar Fragen mit auf den Weg geben. Es geht um das ganz basale Bedürfnis von Kindern nach Körperkontakt. Kinder brauchen Körperkontakt, um sich sicher und geborgen zu fühlen – gerade in Momenten des Schmerzes. Auch für eine gesunde Entwicklung ist Kuscheln, zum Beispiel für den Aufbau eines intakten Immunsystems, unabdingbar.

Manches Mal brauchen aber auch wir Erwachsene tröstliche Gesten, doch im professionellen Kontext sollten wir immer wieder hinterfragen, was angemessen ist und was nicht. Für Ihre professionelle Rolle haben wir Ihnen folgende Reflexionsfragen zusammengestellt:

Wann und warum brauchen Kinder Körperkontakt?

Wenn ich ein Kind mit mir herumtrage, beim Spielen über den Kopf streiche oder auf dem Schoß habe, stelle ich mir dann auch mal die Frage: Wessen Bedürfnis ist das denn gerade? Meines oder das des Kindes?

Häufig ist spontaner Körperkontakt unreflektiert, geschieht fast schon aus einem Reflex. Allerdings sollten wir uns genau in diesen Sequenzen weitere Fragen stellen wie:
Was möchte ich dem Kind in diesem Moment vermitteln? Wie ginge es mir dabei, wenn mir jemand im Vorbeigehen über das Haar streicht? Welche alternativen Handlungen könnten dem Kind ein ähnliches oder gar gleiches Signal vermitteln?

Machen Sie sich Notizen, welche Beispiele Ihnen aus den vergangenen Wochen zu Ihrem eigenen Verhalten einfallen und wie Sie es schaffen, zukünftig bewusster mit dem Thema umzugehen.
Wenn Ihnen auch Verhaltensweisen bei Ihren Kolleginnen und Kollegen, die vielleicht in der Vergangenheit sehr unbewusst mit Berührungen umgegangen sind, auffallen, möchten wir Sie hiermit ermutigen, ein Feedback zu geben.

Kinderrechte bei element-i

Mehr von Franziska Pranghofer & Denise Samuel

Bindung – das wichtigste Bedürfnis eines Kleinkindes

Menschliche Neugeborene sind im Vergleich zu anderen Lebewesen sehr lange nicht in der Lage, sich selbst zu versorgen. Eine andere Person ist für den Säugling also zwingend notwendig. Nach der allgemein anerkannten ethnologischen Bindungstheorie (John Bowlby) sind zwei Gründe dafür zu nennen: Zum einen ist für ein Neugeborenes die menschliche Nähe und Wärme, verbunden mit Zuneigung, unerlässlich. Hieraus entwickelt sich später eine emotionale Bindung. Zum anderen geht es für das Neugeborene ums Überleben. Es sendet daher Signale aus, die die Bindungspersonen (in der Regel die Eltern) in der Nähe halten und zur Fürsorge anregen. Die Bindungspersonen sorgen entsprechend direkt für die Versorgung durch Nahrung für das Neugeborene, das zweite unerlässliche Bedürfnis. Eine Abwesenheit der Bindungspersonen bedeutet für das Baby direkt existentielle Not, da die Versorgung gefährdet scheint.

Bindungsphasen

Die erwähnten ersten Signale sind anfangs Weinen, Schreien und undefiniertes Greifen, das später gezielter wird, ebenso wie das erste Lächeln mit ca. 4-6 Wochen. Ab diesem Lebensalter beginnt auch die eigentliche Bindungsphase, das Kind erhält eine erste Ahnung davon, dass seine Signale Auswirkungen auf den Gegenüber haben und entwickelt eine erste Beziehung zu den vertrauten Personen, die es nun auch langsam an Geruch, Stimme und Äußerem erkennt. Die Bindung, die auch die Eltern erst im Verlaufe der Schwangerschaft und über die Geburt hinweg zu ihrem Kind aufbauen müssen, festigt sich in dieser Zeit: Das erste Mal von seinem Kind zum Beispiel bewusst angelächelt zu werden, trägt hierzu massiv bei. Fragen Sie mal Ihre Eltern oder erinnern Sie sich an Ihr eigenes Kind.

Eine erkennbare Bindung zeigt sich dann ab ca. dem 6. Lebensmonat. Das Kind beginnt aktiv die Nähe seiner Bezugspersonen zu suchen. Bezugspersonen ist bewusst im Plural gehalten, da das Baby sehr wohl in der Lage ist, zu verschiedenen Personen eine Bindung aufzubauen, diese hat nur unterschiedliche Qualitäten und Dimensionen. Die Mutter bleibt meist die Hauptbindungsperson, direkt gefolgt vom Vater (auch hier gibt es Unterschiede in den Dimensionen, das Bindungsverhalten verändert sich über die Zeit). Von den Bezugspersonen aus beginnt das Baby zunehmend – auch verbunden mit erweiterten motorischen und kognitiven Fähigkeiten – seine jeweilige Umgebung zu erobern und in seiner Welt zu explorieren. Die Bezugspersonen dienen dabei als sichere Basis. Bindung kann nun als eine lang andauernde, emotionale Beziehung zu vertrauten Personen definiert werden, die Schutz und Unterstützung bieten.

Im Laufe der ersten zwei Lebensjahre verändert sich das Bindungsverhalten des Kindes. Es erweitert durch zunehmende motorische, kognitive und sprachliche Kompetenzen sein Lebens- und Sozialumfeld und kann die Nähe zur Bindungsperson dadurch besser regulieren und einschätzen – durch Verhandeln oder auch das Einbeziehen der Absichten der Anderen.

Qualität einer Bindung

Selbstverständlich kann es unterschiedliche Bindungs-Qualitäten geben. Die bekanntesten sind sicher die durch Mary Ainsworth beschriebenen, die eine sichere und drei unsichere Bindungsarten unterscheidet. Beeinflussend für die Qualität der Bindung sind verschiedene Faktoren: Es muss eine Gelegenheit zum Bindungsaufbau vorhanden sein, die Qualität der Fürsorge ist entscheidend, und – eng verbunden mit dem Bindungsstatus der Eltern und der familiären Situation – der Säugling hat nicht zuletzt eine Persönlichkeit, die sich auswirken kann.

Warum schreiben wir diesen Artikel für Sie? Die Betreuung von Klein- und Kleinstkindern ist eine Notwendigkeit für viele Eltern und kann künftig ein Thema werden, das auch gesellschaftlich gelöst werden wird. Ein Verständnis von Bindung in den ersten Lebensmonaten ist für eine gelingende Eingewöhnung in diesem Alter unerlässlich. Wir wollen Sie anregen die momentane Gelegenheit zu nutzen und weiter in die Tiefe zu gehen:

  • Informieren Sie sich über die Bindungstypen von Ainsworth und wie sie diese herausgefunden hat (Stichwort: Der Fremde-Situation-Test)!
  • Diskutieren Sie mit Ihren Kollegen: Haben Sie schon sicher gebundene Kinder erlebt? Woran machen Sie dies fest?
  • Welche Anforderungen und Herausforderungen ergeben sich durch die unterschiedlichen Bindungsphasen mit Blick auf die Eingewöhnung? Was brauchen besonders die von uns betreuten Kleinst-Kinder, um ihrem Bedürfnis nach Sicherheit und Geborgenheit zu entsprechen? Sind Ablauf und Gegebenheiten in Ihrem Kinderhaus daran angepasst?
  • Welche Rolle nehmen Sie als Pädagogin in der Bindungsbiographie eines Kindes ein? Sprechen wir hier von einer echten Bindung, oder bewegt man sich im institutionellen Rahmen eher auf der Ebene einer Beziehung?
  • Wer gehört zum Bindungsverhalten des Kindes mit dazu – wen muss man „mit eingewöhnen“? Was hat möglicherweise das Bindungsmuster des Kindes geprägt?
  • Welche Ängste haben Eltern (und Kinder) bei einer Eingewöhnung? Wie können Sie diesen (auch im Vorfeld) kompetent begegnen? Was brauchen Eltern, um ihr Kind vertrauensvoll in Ihre Hände zu geben?
  • Die Bindungsmuster nach Ainsworth lassen sich in allen Kulturen nachweisen, allerdings mit unterschiedlicher Verteilung. Woran kann dies liegen? Welche Bedeutung hat dies für das Bindungsverhalten der betreuten Kinder aus anderen Kulturen?

Beachten Sie, dass auf die Fragen nicht immer eine pauschale Antwort gegeben werden kann – betrachten Sie das Kind individuell! Fremd-betreute Kinder weisen tendenziell eine sichere Bindung auf (auch wenn sie manchmal nicht so erscheint). Die erwähnten Einflussfaktoren für eine gelingende Bindung zeigen Ihnen aber, wie viel Individualität im Bindungsaufbau steckt und spielen für die sichere Bindung in einer Institution eine bedeutende Rolle. Erfragen Sie dies bei der Eingewöhnung mit Mutter oder Vater!

Literatur:
Berk, L. E. (32005): Entwicklungspsychologie. München: Pearson. Kap. 6.4.
Zimmermann, P. (2007): Bindungsentwicklung im Lebenslauf. In: Hasselhorn, M. & Schneider, G. (Hrsg.): Handbuch Entwicklungspsychologie. Göttingen: Hogrefe.
Fuhrer, U. (2005): Lehrbuch Erziehungspsychologie. Bern: Huber. Kap. 9.
Siegler, R. S.; DeLoache, J. & Eisenberg, N. (2005): Entwicklungspsychologie im Kindes- und Jugendalter. München: Elsevier, Spektrum Akademischer Verlag. Kap. 11.

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Nutzung von Spielmaterialien zur Auseinandersetzung mit mathematischen Thematiken

Großes Potenzial in den Einrichtungen

In den element-i Einrichtungen finden sich vielfältige Spiele und Alltagsmaterialien, die Potenzial für eine Auseinandersetzung mit mathematischen Thematiken bergen. In einigen Einrichtungen werden diese Spiele gemeinsam mit Erwachsenen gespielt, in manchen Einrichtungen spielen Kinder allein und zum Teil nach eigenen Regeln, in anderen liegen Spiele zum Teil auf dem Marktplatz und wirken unbenutzt. Welche Auswirkungen hat der Umgang mit diesen Materialien auf die Kinder und die Entwicklung ihrer mathematischen Vorläuferfähigkeiten? Dazu habe ich eine spannende Studie von Stephanie Schuler gefunden.

Interaktion mit Erwachsenen ist der Schlüssel

Nach Schuler (2013, 164) ist nicht das Potenzial der Spielmaterialien und Spielregeln entscheidend, sondern die gestaltete Spielsituation und verbale Interaktion zwischen den Mitspieler*innen und Erzieher*innen. Spielmaterialien, die nur im Raum liegen, lösen dementsprechend keine Auseinandersetzung mit mathematischen Thematiken bei Kindern aus. Ebenso führt das Spielen unter Kindern selten zur Auseinandersetzung mit für die Kinder noch unbekannten mathematischen Thematiken. Mathematisches Potenzial wird vor allem in Interaktion mit Erwachsenen vertieft und ausgeschöpft. Welche Fragen sich ein Kindergartenkind während eines Spiels stellt und wie vielfältig das mathematische Potenzial eines Spiels genutzt wird, kann dadurch sehr unterschiedlich sein. Schuler hat Regelspiel-Situationen in Kindergärten gefilmt, transkribiert und codiert, um herauszufinden, welche mathematischen Lerngelegenheiten in verbal begleiteten Spielsituationen überhaupt entstehen können. Schuler konnte in ihrer Spielanalyse folgende zahlbezogene und allgemein mathematische Aktivitäten erkennen:

  • Zahlbezogene mathematische Aktivitäten: verbales Zählen, Anzahlbestimmung durch Zählen und Erfassen, Mengen bzw. Zahlen vergleichen und ordnen, Mengen zerlegen
  • Allgemeine mathematische Aktivitäten: Vergleichen, Ordnen, Sortieren, Strukturieren, Beschreiben, Vermuten/Behaupten, Prüfen, Begründen (Schuler 2013, S. 235).

Vergleichbar mit dem Erwerb der Sprache ist auch der Erwerb mathematischer Fähigkeiten abhängig vom Gegenüber, also von Ihnen. Nur in Interaktion im Spiel und im Alltag können Kinder zum Beispiel Zählen lernen. Ein eigenständiges Erschließen und Erlernen der Zahlwortreihe ist nicht möglich. Um meine zu Anfang gestellte Frage zu beantworten: Die unterschiedliche Nutzung von Spielmaterialien in element-i Einrichtungen hat erhebliche Auswirkung auf die Ausbildung von mathematischen Vorläuferfähigkeiten bei den Kindern. Das Kind braucht Sie als Gegenüber und nach Schuler tragen Sie einen erheblichen Teil zum Aufbau und Erwerb mathematischer Vorläuferfähigkeiten bei Kindern bei.

Quelle: Schuler, S. (2013): Mathematische Bildung im Kindergarten in formal offenen Situationen. Eine Untersuchung am Beispiel von Spielen zum Erwerb des Zahlbegriffs. Münster: Waxmann.

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